SWR2 Wort zum Tag

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Was den Glauben anging, war mein Schwiegervater ein Skeptiker. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, aus der Kirche auszutreten. Er glaubte an Gott. Aber ihm blieb die Rolle des Heiligen Geistes und die Rede von einem Gott, der doch gleichzeitig Vater, Sohn und Geist war, rätselhaft. Er blieb ein skeptischer Christ. Das machte die Gespräche über Religion mit ihm so anregend. Er weigerte sich, mit dem Kopf zu nicken, wo er nicht verstand. Je älter er wurde fragte er immer wieder. Was kommt nach dem Leben? Die Auferstehung der Toten - wie soll man sich das denken? Jeder sieht doch, dass unser Fleisch vergeht. Vom Menschen bleibt am Ende nur noch ein bisschen Staub, ein bisschen Asche übrig.     
Vielleicht hätte mein Schwiegervater gelten lassen, was Schopenhauer über den Tod geschrieben hat. In Schopenhauers Aufsatz: „Zur Lehre von der Unzerstörbarkeit unseres wahren Wesens durch den Tod" heißt es: „Zu ewiger Fortdauer ist kein Individuum geeignet: es geht im Tode unter". Klar, das hätten wir gerne, ewige Fortdauer. Aber: Was lebt, stirbt. Daran ist nicht zu rütteln. Doch, so fährt der Philosoph fort, sollten wir aufhören, diesen Tod als einen Verlust zu betrachten. „Wir verlieren dabei nichts. Denn dem individuellen Dasein liegt ein ganz anderes (Dasein) unter." Es gibt ein Leben, das unser Leben trägt. Von dem unser Leben nur eine Art flüchtige Blüte ist. Wie eine Blume ja auch aus derselben Wurzel immer wieder blühen kann, so auch unser Leben. Dieser Grund, aus dem wir wachsen „ kennt keine Zeit, also auch weder Fortdauer noch Untergang." Was stirbt, geht dahin, wo alles Leben herkommt.
Wir sollten, rät Schopenhauer, nicht immer nur auf das sehen, was uns durch den Tod genommen wird. Wir sollten auf das schauen, was wir durch ihn gewinnen.  „Wenn man stirbt, sollte man seine Individualität abwerfen wie ein altes Kleid und sich freuen über eine neue und bessere, die man nun annehmen kann."
So ähnlich sagt´s die Bibel auch: „ Das Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit." (1. Kor 15,53). Das alte Kleid, das mit dem Leben immer fadenscheiniger wird, können wir am Ende ablegen. Auf dem Bügel wartet schon ein neues auf uns. Mein Schwiegervater ist vor einigen Jahren gestorben. Oder sagen wir besser mit Schopenhauer und der Bibel: Er ist neu eingekleidet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11551
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