Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Oft sind es nur ein paar Kilometer ins Paradies. Wo das Leben ganz anders tickt und ich selber nach einer Weile auch. Wo ich zu mir kommen kann, die Hektik von mir abfällt. Und die Atemlosigkeit ein Ende hat. Oft sind es nur ein paar Kilometer abseits ins Paradies.
Ich denke, Sie wissen, was ich meine mit diesen Paradiesen. Vermutlich haben Sie auch eins oder sogar mehrere: Orte, Plätze, Lieblingsstellen. Die oft nur ein paar Kilometer abseits der Hauptstraße liegen. Im Taubergießen südlich von Offenburg, zB. auf der Alb, im Odenwald.
Wenn Sie demnächst Urlaub haben, wünsche ich Ihnen, dass Sie dort auch eins finden. Wie ich vor einiger Zeit in der Nähe von Berlin im Spreewald: Die Spree verzweigt sich in ein verschlungenes System von kleinen Bächen und Kanälen. Am Ufer hohe Bäume. Und die Menschen waren klug genug bisher, die Straßen am Rand enden zu lassen. Wenn ich eintauchen will ins Paradies, muss man ein bisschen abseits. Zu Fuß oder im Spreewaldkahn. Stundenlang kann man sich vom Kahnführer durchstaken lassen. Geräuschlos setzt er die Stange ins Wasser. Und lässt einen dahin gleiten. Nach einer Weile im Paradies wundert man sich: So still kann die Welt sein? Ein paar Kilometer abseits reichen schon. Hat der eine oder andere Mitfahrer zu Anfang noch eifrig geschwätzt. Wird es mit der Zeit immer stiller. Alle reden weniger, schauen umso mehr.
Wenn man vorher gar nicht mehr gemerkt hat, wie es der eigenen Seele geht; zwei drei Stunden in so einem Paradies, und man spürt seine Seele wieder und sie sagt: „So ein Paradies tut mir gut. Danke, dass Du es Dir und mir gegönnt hast." Und es wirkt nach, auch wenn man aus dem Abseits wieder zurück ist auf den Hauptstraßen des Lebens.
Ich will die Hauptstraßen nicht madig machen. Gott ist nicht nur in den Paradiesen. Er ist auch mit unterwegs auf den Hauptstraßen, wo das Leben laut ist und schnell. Aber manchmal braucht man diese Paradiese, damit man still wird und ihn überhaupt wieder wahrnimmt: den barmherzigen Gott, der einen begleitet auf den Haupt- und Nebenstraßen und sogar auf den Umwegen meines Lebens.
Ich finde: Ohne die stillen Paradiese wäre die Welt ärmer Und meine Seele auch. Darum hoffe ich, dass ich nie vergesse, was alle diese Paradiese noch gemeinsam haben. Sie können verloren gehen, wenn wir nicht auf sie aufpassen. Sie sind so nah an den Hauptstraßen. Wir müssen sorgen, dass die Paradiese abseits erhalten bleiben. Auch im Interesse unserer Seelen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11097
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