Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist ein Glück, wenn man es schafft, es einander leicht zu machen in einer Beziehung. Gerade wenn sie an sich kompliziert ist. Wenn man es dann schafft, einander das Schwere leicht zu machen, das ist wirklich ein Glück. Und ein Segen. Die Bibel hat dafür einen Ratschlag:
„Einer trage des Anderen Last. So erfüllt ihr das Gesetz Christi." (Gal 6,2) Es einander leichter machen, gerade wenn es schwer ist. Eigentlich ist das so vernünftig und einleuchtend, dass sich jeder darum reißen müsste, es hinzukriegen. Eigentlich...
Ich frage mich oft, warum geht das bei den einen und bei den anderen nicht? Muss man damit zufrieden sein, der eine kann das „das leichter machen", die andere nicht? Oder kann man sich doch was abschauen, wie das „leichter machen" geht?
Ich denke z.B. an das Miteinander von uns erwachsenen Kindern und alt gewordenen Eltern: Ich vermute, Sie kennen, was ein Freund erzählt: Wie verschieden es ist mit seiner 80-jährigen Mutter und seinem Schwiegervater. Beide leben allein, beide gleich weit weg. Man besucht den Schwiegervater nicht seltener als die Mutter. Und trotzdem, erzählt mein Freund, ist das wie Tag und Nacht. Beim Schwiegervater spürt man immer diesen vorwurfsvollen Unterton, schon beim Begrüßen: „Schön, dass Ihr auch mal wieder kommt." Durch die ganze Beziehung zu ihm zieht sich ein schlechtes Gewissen, das drückt. Nicht nur meinen Freund, mehr noch seine Frau und auch die zwei großen Enkel. „Bei meiner Mutter ist das anders," sagt er. „Da habe ich auch oft ein schlechtes Gewissen und denk, oh je, wie lang war ich nicht mehr bei ihr. Und dann kommt man hin und sie freut sich einfach und nimmt einem das schlechte Gewissen ab. Mit ihrer Art, sich zu freuen und dankbar zu sein. Manchmal beschämt mich das richtig," sagt er.
‚Einer trage des anderen Last.' Es muss nicht schwer sein, dem anderen das Leben leichter zu machen. Es wird schon leichter, wenn man dem Anderen nicht zusätzlich noch was drauf packt.
Ob man das üben kann, dem anderen kein schlechtes Gewissen zu machen? Vielleicht ja: Wenn man nicht die Defizite stark macht oder dem anderen enttäuschte Erwartungen vorhält, sondern stark macht, was geht und was gut ist. Wenn man beieinander ist, ist das Wichtigste nicht, wie lange man sich nicht gesehen hat, sondern dass man sich jetzt sieht. Beziehungen - gerade wenn sie kompliziert sind - brauchen es, dass man sich aneinander freut und füreinander dankbar ist. Als Fundament und zur Erleichterung.

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