SWR2 Wort zum Tag

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und der Schurke Christus

„Dies ist keine frohe Botschaft" steht in goldenen Lettern auf der Rückseite des schwarzen Umschlags - und es stimmt: Was der englische Schriftsteller Philip Pullman in seinem Jesus-Roman „Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus" präsentiert, ist alles andere als ein Evangelium, also eben keine frohe Botschaft.
Der literarische Trick, den Pullman anwendet, um die Jesus-Geschichte neu zu erzählen, ist so einfach wie faszinierend: Als Maria in Bethlehem niederkam, gebar sie nicht einen Sohn, sondern zwei - den einen nannte sie „Jesus", den anderen „Christus". Die Zwillingsbrüder waren äußerlich gleich und doch so unterschiedlich, wie zwei Individuen nur sein können: Jesus - kräftig und von entschlossenem, bisweilen frech-provokativem Charakter. Christus - etwas schwächlich und ängstlich, stets am Rockzipfel der Mutter hängend.
Das könnte der Auftakt einer spannenden literarischen Bearbeitung des Evangelienstoffs sein, der sich einmal mehr dem Menschen Jesus zuwendet, der zugleich der „Christus" genannt wird, seiner äußeren Rolle und seiner inneren Berufung und allen Spannungen und Zwiespältigkeiten, die in diesen beiden Persönlichkeitsaspekten erscheinen können. Ähnlich vielleicht, wie es seinerzeit Nikos Kazantzakis in seinem Roman „Die letzte Versuchung" unternommen hat.
Doch Pullman vergibt die Chance. Nach der Lektüre war ich ent-täuscht, denn es geht Pullman nicht um die Doppelnatur Jesu, sondern um die alte, reichlich angestaubte Religions- und Kirchenkritik: Jesus war ein frommer Gutmensch, aus dem eine suspekte religiöse Organisation den Messias gemacht hat, um Macht über die Menschen zu gewinnen. Eine Art Verschwörungskrimi. Und der etwas naive Christus spielt dabei den nützlichen Idioten.
Das mag unterhaltsam sein. In Pullmans Roman geht jedoch unter, dass die biblischen Evangelien Glaubensgeschichten sind. In ihnen wird kein historisch exaktes Protokoll der Ereignisse um Jesus von Nazareth geboten, sondern Menschen bezeugen - lange nach Jesu Tod - wie sie aus der Kraft Jesu - die Bibel nennt es Glauben - ihr Leben bewältigen. Das kann man für sich persönlich ablehnen. Und dass die Kirche im Lauf der Jahrhunderte diesen Glauben und seine Bezeugung auch missbraucht hat, ist zweifellos richtig. Die Leben spendende und ermutigende Energie, die aus diesen Erzählungen strömt, wurde dadurch aber nicht zum Versiegen gebracht - und das ist die frohe Botschaft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10841
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