SWR2 Zum Feiertag

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Meesters: Karfreitag - Jesus stirbt am Kreuz. Warum stirbt er, wozu? Eine Antwort lautet: Der Tod Jesu war ein Opfer - aber diese Antwort führt zu neuen Fragen? Wer opfert hier wen? Musste das sein?
Ich spreche darüber mit Hans Joachim Sander. Er stammt aus dem Saarland und ist jetzt in Salzburg Professor an der katholisch-theologischen Fakultät. Er beschäftigt sich immer wieder mit der Frage, wie Gott zu verstehen ist. Speziell auch mit der Frage nach Macht und Ohnmacht Gottes, die ja am Karfreitag ein wichtige Rolle spielt. Herr Sander, ist Jesus am Kreuz geopfert worden? 

Sander:Er ist geopfert worden. Das ist unverkennbar. Er wird zu Tode gebracht, aus einer Kombination von weltlicher Macht, also römischer Herrschaft und religiöser Obrigkeit, die einen Streit mit ihm austrägt. Und er wird zu einem Opfer im Sinne von: Das Opfer der Gewalt von Menschen. Die zweite Frage ist dann: Ist derjenige, der zu einem Opfer gemacht wird, zu einem Victime, ist der auch selbst ein Opfer - also opfert er sich selbst. Ist er ein Sacrifice, also im Deutschen kann man ja diese beiden unterschiedlichen Opferbegriffe nicht so ohne weiteres unterscheiden, und die religiöse Tradition sagt: Er ist beides. Er ist also jemand, der zum Opfer gemacht wird - jemand, der sich auch selbst opfert. 

Meesters: Welche Rolle spielt Gott bei diesem Opfer? 

Sander:Gott ist zunächst einmal derjenige, der in Anspruch genommen wird, dass er zu Tode gebracht wird.

Meesters: Also die jüdischen Obrigkeiten berufen sich auf Gott um Jesus zu opfern? 

Sander:So stellen es die Evangelien dar. Ihm wird vorgeworfen, sich blasphemisch sozusagen über Gott geäußert zu haben - also eine falsche Gottesrede zu haben. Also zunächst einmal steht Gott auf der Seite derer, die jetzt hier Jesus zu Tode bringen. Und die spannende Frage ist natürlich: wo steht er wirklich? Ist er derjenige, der jetzt seinen Sohn hingibt, oder ist er jemand, der seinen Repräsentanten auf Erden die Treue hält. Die Evangelien sind da sehr klar. Also es geht Zug um Zug. Jesus wird immer einsamer - bis hin zu den Worten: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Also man hat hier das Phänomen, dass jemand Machtkonstellationen unterzogen wird, die immer mehr teilen. Es gibt eine Machtperspektive, die sagt: Teile und herrsche, divide et impera. Jesus wird immer mehr von seiner Umgebung, von seinen Anhängern, von denen, die von fern zuschauen, er wird immer mehr isoliert. Bis dahin, dass er ganz allein ist. 

Meesters: Auch von Gott verlassen. 

Sander:Auch von Gott verlassen in seinen eigenen Worten sozusagen. Das ist die eine Linie. Gott lässt sich hervorragend verwenden, um Menschen zu Tode zu bringen, und das wird an Jesus exerziert. Jetzt ist natürlich die Frage: Ist das wirklich Gott, oder ist das nur eine falsche Gottesvorstellung? 

Meesters: Es gibt ja auch eine theologische These, die sagt: In der Bibel findet sich eine Bewegung von einem Gott, der Opfer will - sogar Menschenopfer will - bis hin zu einem Gott, der ausdrücklich keine Menschenopfer will, und diese Linie gipfelt in Jesus. 

Sander:In Jesus gipfelt die Linie, dass Gott ein Menschenopfer geradezu einfordert. Im Alten Testament bei der Opferung des Isaak, die im Namen Gottes auch geschieht. Ein Gott Namens Elohim fordert das. Hebräisch ist Elohim ein Gottesname. Und ein Gott Namens Jahwe - Jahwe ist ebenfalls ein Gottesname - schreitet ein. Isaak wird nicht geopfert, obwohl Abraham sozusagen schon die Schlachtung und alles vorbereitet hat. Im Neuen Testament gibt es die Gethsemane-Szene, wo Jesus sagt: Wenn es irgendwie geht, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber dann sag nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. Eine Szene, die theologisch versucht, das Kreuz zu verarbeiten, dass das, was da geschieht, nicht gegen Gott geschieht, sondern etwas ist, was für die Darstellung Gottes wichtig ist. Aber wenn das Kreuz Jesu, dieser vollkommen isolierte, dieses Opfer der Gewalt von Menschen, für die Repräsentanz Gottes wichtig ist, dann ändert sich die Gottesvorstellung radikal, und darauf kommt es auch an. Denn zu dieser Linie, die Jesus immer mehr isoliert, also die Macht, die immer mehr teilt, gibt es eine Gegenlinie - das ist die Ohnmacht .In der Isolierung Jesu bis hin zur Gottverlassenheit teilt sich etwas anderes. Es gibt eine zweite Teilungsform, das miteinander Teilen. Jesus teilt auf diesem Leidensweg Zug um Zug die Ohnmacht all derer, die von Menschen zu Opfern gemacht werden. 

Meesters: Und das hängt auch zusammen mit diesem Gedanken: Jesus ist Opfer und hat eingewilligt, Opfer zu sein. Das, was Sie vorhin mit den 2 Worten, französischen Worten, victime und sacrifice beschrieben haben. 

Sander:Wenn jemand immer mehr zu einem Opfer von Macht wird - zu einem Victime - steigt (das ist das Problem von Menschen, die zu einem Opfer gemacht werden) die Rachelust. Also ich würde sagen, man kann sich immer weniger wehren und sehnt sich doch danach, sich gegen die Gewalt zu wehren, die sich an einem selbst abspielt. Das ist das große Problem von Opfern. Also Menschen, die zu Opfern gemacht werden, wenn sie in Machtpositionen kommen, sich der Rache zu verweigern, wenn man jetzt die Chance hat zurückzuschlagen, sozusagen. Und das ist der Sacrificeaspekt. Also Jesus verweigert sich ganz konsequent dieser Rache, und damit gibt er sich selbst preis. Also er gibt seine eigene Lebensmacht preis. Dafür steht in der Karwoche die Gründonnerstagsliturgie, also dass er sagt: Tut dies zu meinem Gedächtnis, also zum Gedächtnis des Opfers und nicht zum Gedächtnis der Täter, wer immer die Täter sind. Wichtiger als die Täter sind die Opfer und dafür steht eben auch dieser Jesus. Was er hier aufgibt, ist seine eigene Gewalt. Jesus opfert am Kreuz die Gewaltmöglichkeiten, die er hat, und das ist sein Sacrificeaspekt, und in gewisser Weise opfert er an diesem Kreuz auch Gott. Er opfert den Gott, der auf Seiten der Macht ist, zugunsten eines Gottes, der auf Seiten der Ohnmacht von Menschen steht.

 Meesters: Und was bedeutet das für Menschen - was verändert das? 

Sander:Das führt zu einer vollkommenen Umorientierung der Perspektive. Also hier hat man einen Menschen, der sich auf Gott nicht beruft, um Macht zu erhalten, sondern der sich auf die Ohnmacht beruft, um Gott nahe zu sein. Mit anderen Worten: Gott ist eine Größe, die in der Ohnmacht wächst. Wenn man ohnmächtig ist, hat man ja nichts mehr, was man von sich selbst her gestalten kann. Man ist auf andere angewiesen. Man muss miteinander teilen. Und der Gott, für den Jesus am Kreuz steht, ist ein Gott, der wirklich miteinander geteilt werden kann, und das ist eine erlösende Perspektive. Vom Kreuz wird ja gesagt, es ist eine Erlösung aller Menschen. Wovon erlöst es? Es erlöst von der Perspektive, sich auf Gott zu berufen, um andere mit Macht zu überziehen.

 Meesters: Was bedeutet Ihnen persönlich der Karfreitag? 

Sander:Der Karfreitag ist ja ein schwieriger Tag. Karfreitag ist die Konfrontation mit Realität - so sieht menschliche Realität aus. Menschen werden von Menschen zu Opfern gemacht. Und das Kreuz ist da ein ganz besonderer Ort. Es ist ein Ort, den es tatsächlich gegeben hat. Ein Ort, dem man nicht ausweichen kann, der sprachlos macht, der aber realistisch macht, und für mich als Theologen ist das ein ganz entscheidender Ort, um von Gott zu sprechen. Man kann von Gott nicht sprechen jenseits der Realität in der man sich sozial, politisch, kulturell, religiös befindet, und der Karfreitag ist der Tag, an dem man realistisch wird. Man muss sich, man darf sich - man kann sich keine Illusionen machen. Er stirbt wirklich am Kreuz. Und diese Konfrontation mit der Realität, die sprachlos macht, ist entscheidend für einen Theologen. Denn ohne das Moment der Sprachlosigkeit, also wo man um Worte ringen muss, kann man von Gott nicht sprechen. Deswegen halte ich den Karfreitag für den theologisch entscheidenden Tag. Er ist der erste, der heiligen 3 Tage. Also der Jubel der Osternacht - Er ist auferstanden - steht im Zeichen des Kreuzes. Das ist eine Schwierigkeit, dass man den Karfreitag und den Ostersonntag nicht gegeneinander ausspielen darf, weil der Jubel der Osternacht, „er ist auferstanden, er hat die Macht des Todes überwunden", heißt nicht, dass er nicht am Karfreitag gestorben ist. Entscheidend ist der Karfreitag, weil dort die Illusion und die Utopien sich auflösen. Man wird durch Gott mit der Realität konfrontiert - weil dort in der Realität kann man ihn finden, kann man ihn miteinander teilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10499
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