SWR4 Abendgedanken
Geht es im christlichen Glauben wirklich um „die“ Wahrheit? Ist es das Wichtigste, Recht zu haben? Und bevor Sie jetzt sagen: Natürlich geht es nicht nur darum, Recht zu haben: Um was geht es denn? Ich sage: Es geht um heilende Liebe, die berührt, die Augen öffnet und uns zu Mitmenschen macht. Und ich finde, dass das in einer Erzählung über Jesus eindrücklich gezeigt wird (Markus 8,22-26):
Ein Blinder wird von einigen Mitmenschen zu Jesus gebracht. Sie bitten Jesus, ihn zu berühren. Das wird nicht umsonst so erzählt: Es geht darum, dass jemand von Gott, von Gottes Liebe und Kraft berührt wird und so ein Mitmensch für andere wird. Ich persönlich habe viel zu oft religiöse Menschen erlebt, die mich nur mit ihrer Wahrheit in Berührung bringen wollten, aber nicht mit Gottes heilender Liebe.
Es ist tatsächlich berührend, was Jesus nun tut. Er nimmt den Blinden an der Hand und führt ihn weg von allen anderen. Der Blinde ist immer noch blind, aber er ist berührt und geführt.
Erst als sie ganz unter sich sind, berührt Jesus die Augen des Blinden und fragt dann: „Kannst du etwas erkennen?“ – Der Blinde antwortet. „Ja, ich sehe. Ich sehe die Menschen. Aber ich sehe sie unklar, wie Bäume.“ Und da weiß Jesus, dass das, was er mit uns Menschen will, bei diesem Menschen noch nicht erreicht ist.
Dass jemand „die Wahrheit“ erkennt, getauft ist, sonntags in der Kirche, in Meditation geübt, vertraut mit der Tradition, bibelfest und sicher im Sprechen des Glaubensbekenntnisses – alles schön, aber nicht das Ziel. Jesus will offenbar, dass Menschen andere Menschen als Menschen sehen.
Im konkreten Fall legt Jesus seine Hände noch einmal auf die Augen, öffnet sie vollständig. Und jetzt kann der ehemals Blinde nicht nur sehen, sondern alles gut erkennen. Alles heißt: Die Menschen wie sie sind: Gutes und Schlechtes, Unterschiede, Liebenswertes und Verwunderliches…
Jesus, Gott, gibt sich nicht damit zufrieden, wenn ich die Menschen nur „so allgemein“ sehe. Er führt auch mich, solange ich (im übertragenen Sinne) blind bin für andere Menschen, und er öffnet mir die Augen. Manchmal klappt das nicht beim ersten Mal. Aber Gott gibt nicht auf. Geführt und berührt von ihm komme ich dahin, dass ich Menschen als Menschen sehe. Und selbst ein Mitmensch bin… Denn darum geht es. Wirklich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37317Manfred weint manchmal einfach los. Und er schämt sich ein bisschen dafür. Er ist 72 Jahre alt und er war noch vor 10 Jahren Abteilungsleiter! Er war Vereinsvorstand und Schöffe – er ist doch sonst nicht so. Doch vor einem halben Jahr ist Manfreds Lebensgefährtin Maria gestorben. Fast 2 Jahrzehnte haben sie miteinander verbracht. Vor gut 15 Jahren ist er in Marias Haus eingezogen. Nein, geheiratet haben sie nicht mehr. Es war alles gut, wie es war.
Manfred erzählt mir das. Er versucht, gefasst zu sein, doch seine Tränen sind nicht nur Trauer, sie sind auch Wut. Marias Erben wollen ihn so schnell wie möglich aus dem Haus haben, um es zu verkaufen. - Dass alles im Haus für ihn einen Wert hat, Erinnerungen birgt, sich verbindet mit dem, was er und Maria hatten – sie wollen es nicht sehen. Er hat doch genug Geld, sagen sie. Er kann sich doch etwas suchen. Und das hat er auch längst gemacht. Barrierefrei und, sollte er es brauchen, auch mit Betreuung.
Aber jetzt geht er von Raum zu Raum und weint einfach immer wieder los. Er kann so wenig nur mitnehmen. Der hässliche, geschnitzte Elefant von der Asienrundreise war nie sein Ding, aber jetzt rührt er ihn zu Tränen. Die Bilder von der letzten Kreuzfahrt hat er eingepackt, die Haken dafür ragen noch aus der Wand.
Ihm fällt ein Spruch ein, den Maria in ihrer letzten Krankheitsphase oft gesagt hat. Es war ein Gebet, ein Psalm, hat sie gesagt: „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle“ (Psalm 56,9)!
Wir sprechen darüber, was dieser Satz für Maria bedeutet hat. Sie wusste, wie wertvoll Tränen sein können und sie hat dieselbe Wertschätzung dafür in der Bibel gefunden. Für keine einzige Träne muss man sich schämen. Im Gegenteil. Gott sammelt sie, weil sich in ihnen etwas von dem Glück widerspiegelt, das die beiden miteinander hatten – fast 20 Jahre lang!
Manfred hat sich übrigens einen Krug mit in seine neue Wohnung genommen, so ein großes, klobiges Ding, das Maria von einer Marokko-Reise mitgebracht hat. In diesen Krug hat er Erinnerungen gefüllt: Fotos, Steine aus dem Allgäu und Muscheln von Mallorca. Von Zeit zu Zeit wird er sie wieder herausfischen – und wahrscheinlich wieder weinen und er weiß, dass seine Tränen wertvoll sind, für ihn und für Gott. „Sammle meine Tränen in deinen Krug; ich bin sicher, du zählst sie alle!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37316Denken Sie manchmal über Gott nach? Viele fragen sich ja, ob es Gott gibt. Aber wenn Sie einfach einmal voraussetzen, dass es Gott gibt, vielleicht sogar den Gott, den Sie aus unserer christlichen Tradition kennen: Denken Sie über den manchmal nach?
Ich frage deshalb, weil ich vor kurzem auf einen Gedanken in der Bibel gestoßen bin, in dem es heißt: „Gott blickt vom Himmel herab auf die Menschen. Er will sehen, ob es da welche gibt, die Verstand haben und nach ihm fragen“ (Psalm 53,3).
Das ist etwas, das man vielleicht nicht so erwartet. Gott sucht nicht nach Menschen, die ihren Verstand abschalten und dann gläubig und willenlos nachbeten, was andere vorgedacht haben. Gott sucht Menschen, die Verstand haben und die mit diesem Verstand nach ihm fragen. Ja es scheint sogar so, dass Gott beides gleichsetzt: Wer Verstand hat, fragt. Er fragt auch nach Gott und setzt sich damit auseinander, dass es vielleicht eine höhere Intelligenz, eine Ur-Energie, vielleicht sogar ein Gegenüber gibt, das größer ist als das, was wir sehen können.
Ich denke: Wer seinen Verstand benutzt, fragt wahrscheinlich auch, welche Auswirkungen so ein Gegenüber für das eigene Leben hat.
Mit Verstand nach Gott zu fragen bedeutet aus meiner Sicht genau das: Ich will herausbekommen, wie mein Leben ein sinnerfülltes Leben sein kann. Ich möchte ein Teil eines größeren Planes sein, wenn es so etwas gibt. Ich will Werte vertreten, die ich als richtig erkannt habe, weil sie nicht nur eine Mode-Erscheinung sind, sondern Bestand haben.
Ich will nicht nur eine unklare Vorstellung davon haben, was im Leben wirklich zählt.
Mir ist es wichtig, dass ich, je älter ich werde, desto mehr, meine religiösen oder auch gar nicht so religiösen Glaubenssätze überprüfe. Stimmen denn solche Sätze wie „Gesundheit ist doch das Wichtigste“? Oder „Zuerst kommt die Familie“? Auch das sind Glaubenssätze, die mit Verstand hinterfragt werden dürfen und sich dann oft auflösen.
Ich habe festgestellt, dass mir die Bibel hilft, grundsätzlich und mit Verstand die Dinge zu hinterfragen. Vor allem die Reden von Jesus, wie die Bergpredigt, sind es, die mich herausfordern, über Gott nachzudenken.
Was zum Beispiel heißt es, wenn Jesus sagt, dass Gott mein Vater ist…?
Ich denke: Es lohnt sich, über Gott nachzudenken…
Wenn es irgend geht, möchte ich nicht leiden. Ich möchte gern vor Schmerzen bewahrt werden. Ich möchte nicht geschlagen oder gefoltert werden. Gott sei Dank geht es mir in der Hinsicht gut. Wenn ich im Fernsehen Bilder von leidenden Menschen sehe, dann tun sie mir so leid. Ich wünschte keiner müsste solche Schmerzen ertragen, unabhängig davon, welche Nationalität er oder sie hat, wie alt er ist, oder woran sie glaubt. Wenn es nach mir ginge, müsste keiner solche Schmerzen haben.
In der Passionszeit – das heißt übersetzt: Leidenszeit - geht es um Jesus Christus. Von seinem Leiden und Sterben hören und lesen Menschen in christlichen Kirchen in diesen Wochen. In der Bibel wird erzählt, wie Jesus gefangen genommen wird, wie man ihn schlägt, auspeitscht, foltert. Und am Ende stirbt er den grausamen Tod am Kreuz.
Die Menschen haben darauf ganz unterschiedlich reagiert. Die einen haben gesehen, wie er leidet und es hat ihnen leidgetan. Jesus war ihnen wichtig, er war ihr Freund und darum wollten sie nicht, dass er leiden muss. Petrus vor allem war so einer. Der hat das laut und deutlich gesagt: Du sollst nicht leiden. Und als Jesus gefangen genommen wurde, hat er ein Schwert genommen und einen Soldaten angegriffen. Es war ihm also ernst damit, dass Jesus nicht leiden soll. Aber das mit dem Schwert hat Jesus ihm sofort ausgeredet. Und das mit dem Versprechen hat nicht wirklich geklappt.
Immer wollte Petrus sich zu Jesus bekennen, für ihn einstehen.
„Und wenn ich mit dir sterben müsste, ich werde niemals abstreiten, dich zu kennen und zu dir zu gehören.“ So hat er gesagt. Aber als Jesus verhaftet worden war, bekam er es doch mit der Angst zu tun und hat mehrmals abgestritten, zu Jesus zu gehören.
Es wäre leicht, ihn dafür zu kritisieren. Hätte er mal den Mund nicht so voll genommen.
Ich bin dankbar dafür, dass Petrus das Beste für Jesus wollte, obwohl er gescheitert ist. So fühle ich mich ihm ganz schön nah. Es tut mir gut, zu hören, dass er Angst hatte und schwächer war, als er von sich dachte. So erlebe ich mich ja auch. Ich habe gute Vorsätze, ich möchte gerne vertrauen und treu sein. Aber ich scheitere immer wieder. Wie Petrus. Nach Ostern verzeiht Jesus ihm und schenkt ihm große Verantwortung. Ob mein Leben gelingt und gut wird, hängt nicht an mir und meiner Kraft, sondern daran, dass Jesus mir vertraut und mir verzeiht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37290Heute hat offiziell der Frühling begonnen. Bei mir löst das sehr angenehme Gefühle aus. Ich freue mich darüber, dass die Tage länger hell bleiben und die Sonne häufiger scheint. Wenn ich von unserem Balkon in den Garten schaue, sehe ich die Schneeglöckchen. Narzissen und Tulpen stehen in den Startlöchern und die Vögel zwitschern. Die Natur erwacht in diesen Wochen aus dem Winterschlaf.
Für viele Menschen beginnt auch die Garten- und Balkonzeit.
Wer einen grünen Daumen hat, wird schon darauf hinfiebern, Gemüse und Obst anzupflanzen. Und wer im Sommer die Früchte seiner Arbeit erntet, freut sich am selbst gebackenen Kuchen mit Obst aus dem eigenen Garten.
Für mich hat der Frühling einen ganz besonderen Wert, er lockt mich wieder, nach draußen an die frische Luft zu gehen. Was ich dort sehe, ist bunter. Ich freue mich über wärmere Temperaturen und dass die Vögel lauter zu hören sind. Es kommt mir vor, als ob das Leben neu erwacht.
Ich weiß, dass es so ungetrübt und schön nicht mehr ist. Der von uns Menschen verursachte Klimawandel verändert das Wetter stark und die gewohnten Abläufe verschieben sich. Das bereitet sicher nicht nur mir große Sorgen. Auch, weil es überwiegend Menschen im globalen Norden sind, die dafür große Verantwortung tragen.
In einem Internet-Lexikon habe ich gelesen, dass in Europa der Frühling im Südwesten Portugals Ende Februar beginnt. Er zieht weiter nach Nordosten, wo er etwa am 20. April Baden-Württemberg erreicht. Danach zieht er im flachen Lande zügig weiter bis nach Skandinavien, das er Ende Mai erreicht. Er benötigt etwa 90 Tage für die Strecke von etwa 3600 Kilometern. Vom Süden nach Norden.
Wie schön ist das von Gott, dem Schöpfer eingerichtet. Ich schaue mit Freude und Erwartung in den Süden, ich freue mich über die Sonne, über bunte Farben und das Leben, die von dort hierherkommen. Diese Erkenntnis könnte bescheiden machen. Ich möchte dankbarer dafür werden. Und gerne mehr Verantwortung übernehmen, liebevoller mit der Schöpfung Gottes umzugehen. Er hat sie so gut gemacht. Ich finde, es lohnt sich, sie zu bewahren und sie zu genießen. Davon haben dann auch unsere Kinder und Enkel etwas. Ich freue mich darüber, dass nun (endlich) Frühling ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37289