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„Dann werden manche von den Letzten die Ersten sein und manche von den Ersten die Letzten.“ (Lk 13,30) Heute enden die Olympischen Spiele in Brasilien und ausgerechnet heute wird dieser biblische Satz in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen. Der berühmte Satz Jesu von den Ersten, die die Letzten und von den Letzten, die die Ersten sein werden. Ist natürlich Zufall aber kein schlechter. Denn in den vergangenen zwei Wochen bei Olympia in Rio ging es immer um die Frage: Wer ist der Erste: Wer kann am schnellsten laufen, am weitesten werfen und am höchsten springen. Trotz der edlen olympischen Idee von „Dabei sein ist alles“, faktisch interessierte: Wer landet am Ende auf dem Treppchen, wer wird erster, zweiter oder dritter und holt damit für sich und sein Land eine Medaille. Und ich gebe zu, auch ich habe mich morgens früh dabei erwischt, wie ich beim Zeitungslesen erstmal auf den Medaillenspiegel geguckt habe. Da bürstet dieser biblische Satz von den Ersten und Letzten doch ganz schön gegen den Strich. Er ist ein biblischer Hieb in meine Seite, der mir sagt: Jesus geht es nicht um die Ersten, die Sieger, die Champions. Ihm geht es um die Letzten, die Verlierer, um die sich keiner kümmert.  

Wer bei Olympia gewinnt, den Sprung auf das Treppchen schafft, der hat einen Platz im Olymp sicher – im Götterhimmel der Sportler.  Aber im Himmel, um den es Jesus geht, ist er deshalb nicht gelandet. Da gelten andere Gesetze: Da werden die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten sein. Das klingt jetzt vielleicht nach einer billigen Vertröstung: Nach dem Motto: Mach Dir nichts draus, wenn Du hier auf Erden zu den Verlierern gehörst, im Himmel zählst du dafür zu den Gewinnern. Aber Vertröstung ist das nur, wenn man so tut, als ob  Himmel und Erde nichts miteinander zu tun hätten. Das ist aber nicht die Botschaft Jesu. Er betont immer wieder: Der Himmel, das Reich Gottes, hat hier auf der Erde zu beginnen. „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ (Mt 6,33) fordert er von seinen Leuten. Anders ausgedrückt: Versucht immer wieder ein Stück Himmel auf die Erde zu holen. Stellt die Verlierer in den Vordergrund, kümmert euch um die, die nicht zu den Gewinnern gehören.  Also denke ich heute Morgen am Ende der Olympischen Spiele mal nicht an die Medaillengewinner, die konnten sich schon genug im Glanz ihrer Medaillen sonnen. Sondern an die, die den Sprung auf das Treppchen nicht geschafft haben. Sie haben ernst gemacht mir dem Satz: „Dabei sein ist alles“. Sie verdienen es, dass man auch ihren Einsatz würdigt. Aber ich denke nicht nur an die sportlichen Verlierer, sondern auch an viele Bewohner von Rio de Janeiro, die eher zu den Verlierern gehören.

Die Brasilianer sind ein Feier freudiges Volk. Sie können ausgelassen sein, tanzen, singen und gute Laune verbreiten, die einfach ansteckt. Von daher ein ideales Volk für die Olympischen Spiele, bei denen es ja auch auf die Atmosphäre, die Stimmung ankommt. Aber diese Ausgelassenheit und Freude der Brasilianer sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele von ihnen  zu den Verlierern von Olympia gehören. Da sind im Vorfeld Menschen von ihrem Land vertrieben worden, da wurden Wohnungen und Häuser platt gemacht, nur um Sportstätten zu bauen. Und natürlich hat es meist die getroffen, die eh nicht viel hatten. Und das viele Geld, das für Olympia verbaut wurde, fehlt natürlich an allen Ecken, insbesondere für soziale Maßnahmen. Schon lange vor den Olympischen Spielen haben sich deshalb viele katholische Einrichtungen in Deutschland zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Deutschen Behindertensportverband zusammengetan und die Aktion „Rio bewegt uns“ gegründet. Mit im Boot sitzen auch brasilianische Partner, unter anderem die Erzdiözese von Rio de Janeiro. Die Aktion ist nicht gegen die Olympischen Spiele, sondern sie will erreichen, dass auch die Armen in Rio was von Olympia haben. „Rio bewegt uns“ für viele Menschen in Deutschland gilt das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn sie organisieren Spendenläufe quer durch die Republik und unterstützen mit dem gesammelten Geld soziale Projekte in Rio. Denn noch immer ist Rio die Stadt der zwei Gesichter. Großer Reichtum direkt neben bitterster Armut. In den Favelas, den vielen Armenvierteln der Stadt  gibt es keine gepflasterten Straßen, keine Müllabfuhr und nur selten Strom.

Hier lebt der Großteil der Bewohner von Rio. Die meisten von ihnen sind schwarz, haben Gelegenheitsjobs und nur zwei Zimmer für ihre fünfköpfige Familie. Sie arbeiten als Putzfrauen, Busfahrer oder Strandverkäufer. Das sind sie die Letzten, von denen Jesus spricht. Ihnen gelten die Projekte von „Rio bewegt uns“. Überall dort, wo sie zu den Ersten werden, wo sie im Vordergrund stehen, da geschieht er, der Himmel, das Reich Gottes. Immer wieder, jeden Tag neu, wenn auch oft nur im Verborgenen. Und das schöne: Er geschieht in Rio sogar bei den Olympischen Spielen. „Rio bewegt uns“ sei dank.

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„Etwas mehr Barmherzigkeit verändert die Welt.“ Ein bisschen brav hört es sich schon an, was der Papst da letztes Jahr an seinem ersten Arbeitstag zu den Leuten gesagt hat. Spannend geht jedenfalls anders. Zum Beispiel, wenn die Hollywoodstars Brad Pitt und Morgan Freeman als Polizisten im Fernsehen einen Mörder jagen. Sieben Mal schlägt der in dem Streifen nämlich zu,  und jeder einzelne Mord orientiert sich an einer der sieben Todsünden. Sie sind es nämlich, die Karriere gemacht haben, in Filmen, Büchern oder Musikstücken. Denn, Hand aufs Herz, wer kennt schon ihr Gegenteil: Die sieben Werke der Barmherzigkeit. Im Mittelalter hat man sie den Todsünden gegenüber gestellt. Als ihr positives Gegenstück, sozusagen. Doch gegen die Todsünden hatten sie keine Chance. Das abgrundtief Böse fasziniert uns Menschen einfach mehr, regt unsere Phantasie wohl besser an als das Gute. Trotzdem finde ich: Der Papst hat Recht. Die sogenannten Todsünden mögen ja noch so faszinierend sein. Wenn wir menschlich zusammen leben wollen, brauchen wir aber die Barmherzigkeit. Ohne sie kann ich mir eine lebenswerte Gesellschaft einfach nicht vorstellen. Wir Menschen müssen nun mal essen, trinken und auch was zum anziehen haben. Wer das nicht hat, der braucht ganz schnell Hilfe. Wer krank ist, dem tut es gut, wenn sich einer um ihn kümmert. Wer verzweifelt ist, freut sich über einen, der ihm zuhört. Wer in ein fremdes Land kommt über jemanden, der ihn gastlich willkommen heißt. Und wenn ich irgendwann mal sterbe, dann hoffe ich, dass da jemand ist, der mich würdig begräbt. All das hat nämlich zu tun mit Barmherzigkeit.

Die Bibel hat der Barmherzigkeit in der Geschichte vom Samariter ein Denkmal gesetzt. Da wird ein Mann überfallen und schwer misshandelt. Passanten gehen achtlos an dem Schwerverletzten vorbei, unter ihnen sogar ein paar Superfromme. Erst ein Mensch aus Samarien, nimmt sich seiner an. Ein Ausländer würde man heute sagen, der zufällig dort vorbei kommt. Sich von der Not berühren lassen und dem anderen zuwenden. Das ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist kein Job, den ich einem Fachmann überlassen könnte. Es ist eine Haltung, die auch mich angeht. Fragt sich nur, wie weit es damit wirklich her ist?

Teil 2

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, barmherzig zu sein. Das Wichtigste, das es dazu braucht ist ein großes Herz. Eines, das sich berühren lässt, wenn ein Mensch in Schwierigkeiten ist. Vieles passiert da im Verborgenen. Unter Freunden, Nachbarn, Kollegen. Und doch gibt es Dinge, die ich nur schwer verstehe.

Vor drei Wochen ist Uli Hoeneß ins Gefängnis umgezogen, vom Luxusanwesen in die Zelle. Es war ein Knaller für die Medien. Ich weiß nicht, wie viele gehässige Kommentare ich bis dahin gelesen habe. In Zeitungen und vor allem in manchen Leserkommentaren. Wo irgendwelche anonymen Schreiber ihre Freude daran austoben, einen Helden scheitern zu sehen. Wo Leute sich selbstgerecht aufblasen, weil ein vermeintlich Großer gestolpert ist. Doch den Fuß triumphierend auf einen erlegten Löwen zu stellen ist ziemlich billig. Von menschlicher Größe jedenfalls zeugt das nicht gerade. Ganz klar ist, dass Hoeneß sich strafbar gemacht hat. Und ebenso klar ist, dass er dafür ins Gefängnis muss. Trotzdem steht selbst dem größten Sünder Barmherzigkeit zu. Eine helfende Hand für einen neuen Anfang, wenn er sie denn ergreifen will.

Sie gilt auch für die 50.000 Menschen die in diesem Jahr schon in brüchigen Booten über das Mittelmeer geschippert sind. Männer, schwangere Frauen, Kinder, die den Tod riskieren für ein bisschen Sicherheit und ein besseres Leben. Barmherzigkeit fragt nicht lange, warum und wieso. Barmherzigkeit handelt einfach, manchmal wider alle Vernunft. Sie lässt dafür sogar Geschäfte Geschäfte und Termine Termine sein. Die biblische Geschichte von dem Mann aus Samarien hätte man nämlich auch ganz anders erzählen können: Er sieht den Blutenden im Graben liegen und geht rasch weiter. Schließlich hat er wichtige Termine, die er nicht verpassen darf. Doch stattdessen lässt er alles sausen und handelt. Barmherzig eben. Barmherzigkeit erscheint ineffizient und manchmal vielleicht auch geschäftsschädigend. Zählbarer Profit ist von ihr selten zu erwarten, eher im Gegenteil. Und doch könnte ich ohne sie nicht leben. Denn sie macht die Gesellschaft, in der ich lebe, erst lebenswert. Oder wie der Papst es so treffend gesagt hat: „Etwas mehr Barmherzigkeit verändert die Welt.“

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Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben. Ich mag diesen Satz von Herrmann Hesse und habe ihn schon öfters erlebt. Den Zauber des Anfangs. Der erste Tag auf der Schulbank, die erste Predigt auf einer sehr hohen Kanzel, die Geburt meines ersten Kindes. Das war sehr aufregend und hat auch Angst gemacht. Aber im Nachhinein kann ich sagen: da war immer auch ein Schutz und eine Hilfe.
Heute ist der erste Sonntag im neuen Jahr. So viele Möglichkeiten und Chancen liegen vor uns. Welche Wege werden wir gehen?
Die Heiligen Drei Könige, an die heutige der 6. Januar erinnert, haben auf den Schutz und die Hilfe Gottes vertraut. Und sind den richtigen Weg gegangen.
Eigentlich waren die drei Männer keine Könige, sondern Gelehrte, genauer gesagt: Astrologen. Sie haben die Sterne beobachtet um daraus die Zukunft vorherzusagen.
Bei uns läuft ja Sterndeuterei eher unter Esoterik und Aberglaube. Aber in Asien sind Sterndeuter noch heute wichtig. In Thailand z. B. heiratet kein Paar, ohne vorher einen Astrologen befragt zu haben, ob die Ehe gut geht. Dazu untersucht der Astrologe nach einer Jahrtausende alten Tradition die Konstellation der Sterne zu der Zeit, als die beiden geboren worden sind. Passt sie zusammen, gibt er grünes Licht für die Ehe. Und daran halten sich die Leute.
Die drei Weisen aus dem Morgenland waren auch solche Männer, deren Wort etwas gegolten hat.
Und die sehen zum ersten Mal einen hellen Stern. Dass heißt, eigentlich sind es zwei Sterne, die sich übereinander geschoben haben. Sie befragen ihre Tradition und finden darin einen Hinweis darauf, dass irgendwo der König der Juden geboren sein muss. Und so folgen sie dem Stern und der Stimme ihres Herzens.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben. Nie werde ich vergessen, wie ich zum ersten Mal ein Brautpaar getraut habe. Die beiden waren 15 Jahre älter als ich. Sowohl ihre Single- Freunde wie ihre Eltern wollten nicht, dass sie heiraten. Deshalb hatten sie auch Angst vor diesem Schritt. Als Pfarrerin wollte ich ihnen Hilfe und Gottes Segen mitgeben. Aber ich war völlig unerfahren und so aufgeregt, dass ich beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Schließlich kam der Moment, in dem sie niedergekniet sind und ich ihnen die Hand auflegen sollte. Und da war es auf einmal ganz einfach. Ich musste gar nichts tun, nur da sein. Gottes Kraft lag wie ein Zauber über uns und hat uns alle drei beschützt und gestärkt. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben. So ist das, wenn man losgeht und auf Gottes Kraft hofft.
Und so muss das auch den drei Weisen aus dem Morgenland gegangen sein.
Die haben den Zauber des Anfangs erlebt. Sie haben der Tradition vertraut und der Stimme ihres Herzens. Und sie haben erlebt: Gott ist da mit seinem Schutz und seiner Hilfe. Daran erinnert der heutige 6. Januar, der Dreikönigstag.
Ein Bekannter hat sein ganzes Berufsleben Bilanzen und Tabellen geschrieben. Dann kam die Pensionierung. Und er hat gespürt: Jetzt würde er gern was mit Menschen machen.
Also hat er eine Ausbildung bei der Telefonseelsorge angefangen. Ein Jahr lang hat er gelernt, wie man mit Menschen redet, die verzweifelt und ratlos sind. Jetzt ist er Telefonseelsorger, sitzt immer wieder eine Nacht lang am Telefon und hat ein offenes Ohr, einen guten Rat oder schlicht eine Adresse für jemanden, der meint am Ende zu sein. Nach solchen Nächten sinkt er oft erschöpft, aber doch beglückt ins Bett. Weil er erleben durfte, wie sein Neuanfang vielen Leuten und ihm selber zum Segen geworden ist.
Die drei Weisen aus dem Morgenland sind auch mutig aufgebrochen. Gewiss, da war ein leuchtend heller Stern am Himmel, der hatte etwas zu bedeuten. Und da war der Hinweis der Schriftgelehrten, dass unter diesem Stern ein Kind geboren würde. Ein königliches Kind. Aber schon in der Hauptstadt Jerusalem erleben sie einen merkwürdig aufgeregten König Herodes. Der gibt sich zwar interessiert an dem Kind, und warum ist er dabei so aufgeregt, als er sie bittet, auf dem Rückweg ihm von dem Kind zu erzählen?
Welche Macht muss das Kind haben, wenn sogar ein König sich bedroht fühlt?
Und warum finden sie dieses Kind nicht in einem Palast, sondern in einer ärmlichen Hütte, einem Stall? Warum liegt dieses Kind in einer Krippe?
Die drei Weisen sind losgezogen, um das angekündigte Königskind, den Retter Israels zu finden. Und sie finden heraus: in diesem Kind ist Gottes Macht ganz nah gekommen. Und diese Macht braucht nicht den Glanz irdischer Macht. Es ist eine Macht, die tief in die Verzweiflung hinein leuchtet und die es darin hell macht. Sodass Menschen trotz schwieriger, äußerer Verhältnisse heiter und aufrecht im Leben stehen können. Gott ist bei denen, die im Dunkel sind. Ihnen schickt er sein Licht. Ihnen schickt er Schutz und Hilfe.
Nachdem die drei Weisen dem Kind königliche Geschenke überreichen, werden sie auf dem Rückweg den Palast des Königs nicht mehr betreten. Heidnische Sterndeuter retten das Jesuskind vor einem mörderischen König, weil sie auf die Stimme Gottes im Traum, weil sie der Stimme ihres Herzens vertrauen.
Deshalb hat die Tradition aus den drei heidnischen Astrologen später Könige gemacht. Männer, die mutig und voller Gottvertrauen neue Schritte gewagt und sich vom schönen Schein irdischer Macht nicht haben verführen lassen.
Und das wünsche ich uns und den Politikern, die sich heute zum traditionellen Dreikönigstreffen versammeln. Dass wir uns vom schönen Schein irdischer Macht nicht verführen lassen, sondern den Zauber des Anfangs erleben: Gottes Schutz und Hilfe auf dem Weg, der vor uns liegt.

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Teil 1. Entlastung

Heute mache ich mir viele Hoffnungen. Das neue Jahr beginnt und es liegt offen vor mir. Da kann ich mir zurecht noch vieles erhoffen. Ich hoffe, dass es im Beruf gut weitergeht. Bei unseren Kindern tut sich in der Schule einiges. Ich hoffe, dass sie gut durchkommen. Bei meinen Eltern stehen runde Geburtstage an. Ich hoffe, dass wir noch viele Jahre miteinander feiern können.

Hoffnungen wie diese machen sich viele. Dass man selbst gesund bleibt - und alle, die einem ans Herz gewachsen sind. Dass sich Pläne erfüllen.

Hoffnungen tun gut. Aber das neue Jahr lässt mich auch etwas beklommen sein, macht Angst. Vieles wird passieren, das ich nicht erhoffe, nicht erwarte, nicht kenne.

Aber ganz egal, ob ich Hoffnungen habe oder Angst: Dieses Jahr, jeder Tag, jede Stunde, jede Minute wird auf mich zukommen. Ganz egal, was ich erhoffe oder befürchte. Ich brauche gar nichts zu tun. Ich kann gar nichts daran ändern. Neues kommt einfach so - ohne dass ich gefragt werde, ohne meine Zustimmung, ohne meine Leistung.

Das entlastet mich, befreit mich. Ich muss nicht alles selbst machen. Vieles ist möglich - und wird mir geschenkt. Sicher: Vieles muss ich auch im neuen Jahr selbst regeln und auf den Weg bringe. Muss einkaufen, die Steuererklärung machen und an Geburtstage denken. Da finde ich es entlastend zu wissen: Der Tag heute geht zu Ende - und es kommt sicher der neue Tag. Egal wie viel ich geschafft, geleistet, vollbracht habe.

Von der Entlastung des Menschen spricht auch die biblische Schöpfungsgeschichte. Ihr geht es auch um den Neuanfang, erzählt von der Geburtsgeschichte der Welt. In poetischen Worten beschreibt ein Dichter, dass alles, was ist, Sonne, Mond, Sterne, Wasser und Erde, Licht und Schatten, von Gott gewollt ist. Gott sagt ja, zu allem, was es gibt. Und mittendrin: Der Mensch. Auch er kommt zur Welt - ist angenommen, darf sein. Aber Gott nimmt diesen Menschen auch direkt in seinen Dienst. Gibt ihm Aufgaben. Der Mensch soll die Schöpfung pflegen, soll sie bewahren und für sie sorgen. Ein weitreichender Auftrag. Ein Auftrag, der belastet. Muss der Mensch also doch alles erledigen und machen?

Zum Glück geht die Geburtsgeschichte der Welt weiter. Denn am letzten Tag schafft Gott etwas völlig Neues: Die Ruhe, die Pause, die Muße. Er schafft einen Tag, an dem nichts geschafft werden muss, der nichts Neues braucht. Gott schafft einen Tag, der einfach nur da ist. So wie der Mensch an  diesem Tag einfach nur da sein darf. Ein großes Atemholen: die Pause, den Sabbat, die Ruhe. Das ist der eigentliche Höhepunkt der Schöpfung: Dass alles ruhen darf, dass nichts getan werden muss. Und dass der Mensch aus dieser Ruhe neue Hoffnung schöpfen kann.

 Teil 2. Geburt

Eigentlich merkwürdig. Da feiern wir Geburtstag - und keiner geht hin. Es gibt keine Einladung, es gibt keinen Gastgeber, es gibt keine Geschenke. Kein Wunder: Das neue Jahr feiert Geburtstag, wem soll ich da gratulieren?

Ich glaube, wir können uns gratulieren. Das neue Jahr beginnt, und wir sind da. Wir leben. Aber wenn ich weiß, dass ich lebe, dass ich den Anfang des neuen Jahres erleben darf, dann weiß ich doch auch, dass viele Menschen dieses Jahr nicht erleben dürfen. Der 1. Januar zeigt mir wieder einmal deutlich: Geburt und Tod liegen nahe beieinander, Anfang und Ende gehören zusammen.

Das kann mich traurig machen. Dass in jedem Anfang schon etwas vom Ende steckt. Es kann mich aber auch ermutigen. Für ein geburtliches Leben, ein Leben, das immer wieder einen Neuanfang setzt.

Von solchen Geburtsgeschichten, von Neuanfänge und Aufbrüchen, erzählt auch mein Glaube. Ganz am Anfang der Bibel, der Genesis, wird erzählt, wie der Mensch auf die Welt kommt. Er entsteht aus Dreck und Lehm. Aus Erde. Gott ist ein kreativer Künstler, ein Töpfer, der aus einem unscheinbaren Ausgangsmaterial ein Wunder vollbringt. Einen lebendigen Menschen.

Diese Geschichte ist eine Sinngeschichte. Über die Evolution des Menschen will sie keine Auskunft geben. Sie gibt Auskunft über den Sinn des Menschen. Darüber, dass Gott dem Menschen nahe ist, und darüber, was der Mensch in den Augen Gottes ist. Gott merkt sehr schnelle, dass der Mensch nicht allein sein soll. Und so sucht ihm der phantasievolle Gott eine passende Gesellschaft. Als erstes schafft er nach dem Menschen die Tiere. Aber schon bald steht fest: Eine wirkliche Hilfe, eine Unterstützung, einen Partner fürs Leben, der sieht anders aus. Und so schafft Gott einen zweiten Menschen, bringt nochmals einen Menschen zur Welt.

Wenn wir Geburtstag feiern, dann feiern wir einen Menschen. Wir lassen ihn hochleben, bringen Geschenke. Das ist schön und wichtig. Der einzelne Mensch ist unendlich viel wert. Die Schöpfungserzählung weist auf einen zweiten wichtigen Aspekt hin: Dass Menschen andere Menschen brauchen. Dass Menschen alleine kaum leben und überleben können. Bei der Geburt meiner Kinder habe ich das selbst erleben dürfen. Wie angewiesen und hilflos ein neugeborenes Kind ist - wie sehr es andere Menschen braucht. Und wie sehr ich durch ein Kind meine Welt neu sehen kann.

Geburtstag heißt, einen Menschen als Mensch unter Menschen zu feiern. Zu feiern, dass Menschen miteinander verbunden sind. Das können wir gut heute feiern, wenn das Jahr Geburtstag hat.

 

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Nur noch selten verlässt Maria ihre kleine Wohnung. Das liegt aber nicht nur an den Schmerzen in ihren Gelenken. Maria fehlt schlicht auch das Geld. Als Reinigungskraft hat sie viele Jahre lang geschuftet, hat für andere Menschen sauber gemacht. Viel verdient hat sie dabei nie. Doch sie schaffte es, sich irgendwie über Wasser halten. Ihr Mann ist schon vor vielen Jahren gestorben. Seitdem wohnt sie allein in einer kleinen Sozialwohnung. Ihre Nachbarn wechseln oft, man kennt sich kaum. Ihrer Gesundheit hat all das nicht gut getan. Heute lebt sie von einer Minirente, die zum Leben eigentlich zu wenig, zum Sterben aber zu viel ist.

Maria ist nur ein Beispiel für viele, die ganz ähnliche Schicksale teilen. Und: Menschen wie Maria gab es immer, auch zur Zeit der Bibel. Als das Christentum noch ganz jung war, da fühlte sich die kleine Christengemeinde verantwortlich für jedes ihrer Mitglieder. Leute wie Maria, die nur wenig zum Leben hatten, wurden damals von den anderen mitversorgt. Das hat ganz  gut geklappt, solange sie wenige waren. Doch als die Gemeinde nach und nach immer größer wurde gab es Probleme. Einige fühlten sich zurückgesetzt und ungerecht behandelt. Es gab Streit. Eine Lösung musste her. So wählte man sieben angesehene Männer aus und machte sie zu Diakonen. „Diener" heißt das wörtlich übersetzt. Sie sollten sich ab sofort darum kümmern, dass jeder der bedürftig ist, auch etwas bekommt. Die sieben waren quasi der Anfang dessen, was wir heute als Caritas oder Diakonie kennen. Wir wissen nicht mehr, wer diese Männer waren. Nur den Namen ihres Sprechers, den kennen wir noch. Er hieß Stephanus. Heute, am zweiten Weihnachtstag, erinnert sich die Kirche ganz besonders an ihn.

Stephanus hatte aber nicht nur ein großes Herz für die Schwachen und Bedürftigen. Er ist auch für seinen Glauben eingetreten, laut und deutlich. Hat für seine Überzeugungen gestritten und sie verteidigt. Das passte nicht jedem. Seine Gegner haben ihn eines Tages vor die Stadt gejagt und ihn dort umgebracht. So wurde Stephanus auch der erste aus der jungen Christengemeinde, der für seinen Glauben in den Tod gegangen ist.

Für mich gehört diese Geschichte des Stephanus zu Weihnachten dazu. Sie erinnert mich nämlich jedes Jahr aufs Neue daran, dass Weihnachten nicht nur ein Fest der wohligen Gefühle ist. Denn sie rückt gerade jene Menschen in den Blick, denen es auch in diesen Tagen nicht gut geht. Menschen etwa, wie die Rentnerin Maria. 

TEIL 2

Weihnachten. Fest des Friedens, der Liebe, der Geschenke und so weiter. Mit keinem anderen Fest verbinden sich so viele Klischees. Die Geschichte des Stephanus, der sich in der jungen Christengemeinde um die Bedürftigen kümmerte, scheint da nicht so richtig zu passen. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Dennoch gehört sie für mich genau hier hin.  Mitten hinein ins Weihnachtsfest. Sie bringt mich bei aller Weihnachtsstimmung auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn die Wirklichkeit ist ja nicht nur glitzernd und einladend wie die bunt strahlenden Einkaufspassagen. Menschen, die arm sind, spüren das an Weihnachten vielleicht ganz besonders. Wer einsam ist, empfindet das in diesen Tagen besonders schmerzlich. Und für die, die miteinander im Streit liegen, mag alles Gerede vom Frieden erst mal wie Hohn klingen. Es gibt ganz viele Leben, in denen es auch an Weihnachten nicht glitzert und strahlt.

In unserer Stadt gibt es seit einigen Jahren eine Initiative für alte, arme und einsame Menschen. Getragen wird sie von einem Verein engagierter Christen und der örtlichen Tageszeitung. In den Wochen vor Weihnachten sammeln sie Spenden. Geld, das Menschen zu Gute kommen soll, die es bitter nötig haben. Da wird dann schon mal ein neuer Ofen organisiert, wenn der alte kaputt ist. Oder auch ein warmer Mantel, den sich mancher kaum leisten kann. Und wer einsam in seiner Wohnung sitzt, dem tut es einfach gut, wenn einer vorbei kommt. Mit einem freundlichen Wort und ein bißchen Zeit zum Plaudern im Gepäck. Genau genommen passiert da dasselbe, das auch Stephanus in der jungen Christengemeinde in Jerusalem getan hat: Not lindern und denen helfen, die sich selber kaum noch  helfen können. An Weihnachten feiern wir Christen, dass Gott Mensch geworden ist. Wenn das aber nicht nur eine nette Geschichte bleiben soll, dann muss sie konkret werden. Spürbar. Auch heute noch. Nicht nur an Weihnachten, sondern immer wieder. Dazu braucht es Menschen. Menschen, die sich anrühren und bewegen lassen. Vielleicht will Gott ja immer wieder Mensch werden. Und wie sonst könnte das geschehen, wenn nicht in Menschen?

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Teil I

Ein Newweling ist eine kleine, bunte, kegelförmige Kerze.  Er besteht nur aus gedrehtem und mit Kerzenwachs überzogenen Dochten. Es gibt ihn in den Farben Rot, Weiß, Blau, Gelb und Grün.  Durch die Kombination der verschiedenen Wachsstränge ist er recht bunt. Wenn mehrere Newwelinge zusammenstehen, erinnert das eher an einen Kindergeburtstag als an Friedhof und Totengedenken. Sie sind lustig anzuschauen, wie kleine bunte Zipfelmützen schauen sie aus. Aber trotzdem werden sie heute an Mainzer Friedhöfen verkauft und auf die Gräber gestellt. Die Tradition des Newwelings reicht in Mainz bis ins Mittelalter zurück. Bei einigen Vermächtnissen aus dieser Zeit ist eigens vermerkt, dass man zum Gedenken an die Toten Newwelinge abbrennen solle.

Trotzdem: Bunte Kerzen zu Beginn des Totenmonats November auf die Gräber zu stellen, mutet im ersten Moment ein wenig seltsam an. Verbindet man mit dem Monat November doch in erster Linie die Farben grau und schwarz. Eben die Farben, die zu Tot und Trauer passen und damit zu den weiteren Gedenktagen dieses Monats: Volkstrauertag, Buß- und Bettag und Totensonntag. Aber vom heutigen Festtag Allerheiligen her gesehen, ist es richtig, bunte und fröhlich anmutende Kerzen auf die Gräber zu stellen. Denn an Allerheiligen gedenken wir nicht toter, sondern lebendiger Menschen. Denn für uns Christen sind die Verstorbenen nicht einfach tot und weg, sondern wir glauben, dass sie leben werden - wie wir sagen, dass sie auferstehen. Und von den Heiligen glauben wir, dass sie schon auferstanden sind, dass sie schon bei Gott sind. Und das ist ein Grund sich zu freuen, ein Fest zu feiern. Deswegen werden heute Morgen im Gottesdienst auch festliche Lieder gesungen, und der Priester trägt ein weißes Messgewand zum Zeichen der Freude und nicht Schwarz zum Zeichen der Trauer. Das Fest Allerheiligen wurde eigens eingeführt, weil man sehr schnell wusste, dass es viel mehr Heilige gibt als die, die im offiziellen Heiligenkalender stehen. Es gibt viele Heilige, von denen keiner weiß. Und auch die sind alle schon bei Gott. Nicht nur die, die offiziell von der Kirche heilig gesprochen wurden. Das kann ja auch, wie wir bei der Heiligen Hildegard gemerkt haben, manchmal ziemlich lange dauern. Und zu einem Leben bei Gott passen die bunten Newwelinge, die heute in Mainz auf die Gräber gestellt werden. Denn bunt, fröhlich und freudig wird es ja hoffentlich sein, das Leben bei Gott.

Musik

 Teil II

Heute kann man an Mainzer Friedhöfen Newwelinge, kleine bunte Kerzen, kaufen um sie auf die Gräber stellen. Und das passt zum heutigen Festtag Allerheiligen. Denn wir gedenken aller Menschen, die ein heiligmäßiges Leben geführt haben und deshalb nach ihrem Tod nach den Vorstellungen der Kirche schon bei Gott sind. Nun werden diese kleinen bunten Newwelinge aber auch auf Gräber von ganz normalen Menschen gestellt. Menschen von denen wir erstmal nicht davon ausgehen, dass es Heilige waren. Aber ich denke, wir tun das zu recht. Denn heilig bedeutet im ursprünglichen Sinne „zum Göttlichen gehörig". Und wenn wir die christlich-jüdische Tradition ernst nehmen, kommt dies eigentlich jedem Menschen zu. „Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild", heißt es im Alten Testament, also irgendwie steckt in jedem von uns auch etwas Göttliches, irgendwie ist jede und jeder auch ein bisschen heilig. Wir sind nicht nur schlecht, auch das Gute wohnt in uns. Aber nicht bei jedem von uns entfaltet sich das Gute, das Göttliche, in gleicher Weise. Viele geben ihrer eigenen Heiligkeit keinen Raum, lassen sie einfach nicht zum Zuge kommen. Und denn noch: Ein ganzes Leben lang lässt sich die Heiligkeit selten unterdrücken, irgendwann blitzt sie mal auf, wenigstens für einige Momente. Irgendwann ist jeder auch mal gut, selbst der größte Schurke. Es gibt viele Menschen, die bedeutend heiliger sind als sie selbst glauben. Und deshalb kann man Newwelinge, kleine bunte Kerzen, auch auf jedes Grab stellen, nicht nur in Mainz. Und damit zum Ausdruck bringen: Hier liegt ein Mensch, dem bei aller Brüchigkeit menschlichen Lebens auch etwas Heiliges zukommt.

Wenn ich es recht bedenke, könnte auch ich, heute auf viele Gräber einen Newweling stellen. Denn es sind mir in meinem Leben viele Menschen begegnet deren Heiligkeit just in dem Moment aufblitzte als wir uns trafen. Menschen, die mir Gutes getan haben. In denen mir ein Stück die Güte Gottes entgegengekommen ist. Die mir gezeigt haben - bei aller Schlechtigkeit auf der Welt  - dass wir Menschen auch ein Abbild des guten Gottes sein können. Der annimmt, verzeiht, liebt und trägt - einfach so ohne Berechnung. An sie möchte ich heute denken.

Das Wort Newweling wird oft mit „Nebellicht" übersetzt. Licht, das mir hilft im nebligen Grau des Novembers meinen Weg zu finden. In diesem Sinne waren diese Menschen Newwelinge in meinem Leben. Und obwohl sie schon verstorben sind, sind sie irgendwie auch lebendig, und die Erinnerung an sie ist bunt - bunt wie ein Newweling.  

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Für's Beten bin ich zuständig. Sagen die Leute. Schließlich bin ich Pfarrer. Etwa als wir den letzten Waldgottesdienst vorbereitet haben. Wir hatten gründlich geplant. Viele haben beim Aufbauen mit angepackt. Es war alles gerichtet. Nun haben wir nur noch schönes Wetter gebraucht.
„Dafür sind Sie zuständig, Herr Pfarrer. Sie haben doch den guten Draht nach oben", hat einer gemeint. Und die anderen haben zustimmend genickt.
Ja, ich bete. Ich bete auch für gutes Wetter. Aber wenn ich Ihnen mal was verraten darf: Manchmal habe ich da auch meine Zweifel. Beten kann ja bestimmt nicht schaden. Aber, ob dann wirklich eintrifft, worum ich bitte?
Ich bete. Aber manchmal rechne ich gar nicht wirklich damit, dass es hilft. Dass sich durch mein Beten etwas ändern könnte an einer festgefahrenen Situation oder an einer Krankheit oder in einer Notlage. Da bete ich. Schließlich bin ich Pfarrer. Aber rechne ich dann wirklich damit, dass sich was ändert? Anderen geht es ähnlich, glaube ich. Die geben das Beten dann vielleicht einfach auf.
Ich möchte Ihnen dazu eine Geschichte erzählen - aus der Bibel. Eine Geschichte von Leuten, die anscheinend auch nicht geglaubt haben, dass ihr Beten wirklich hilft. Und eine Geschichte von Petrus. Der war einer der engsten Freunde von Jesus und hat nach Jesu Tod zum Leitungsteam der ersten Christengemeinde gehört.
Weil die Christen damals als unzuverlässige Bürger galten, wurde Petrus gefangen genommen. Das Urteil stand schon vorher fest: Tod. Wenn wir den Anführer dieser Christen ausschalten, wird man sich gedacht haben, dann wird sich die Christengemeinde bald ganz auflösen.
Petrus wurde also in den Kerker geworfen. Aber nicht einfach eingeschlossen in eine Zelle. Er wurde in Ketten gefesselt und bewacht von einer ganzen Mannschaft von Soldaten.
Und seine Freunde, die anderen Christen? Die haben dem Petrus geholfen mehr als sie ahnen. In der Bibel lesen wir an dieser Stelle: „Die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott."
Die ganze Nacht haben sie gebetet. Gefleht, dass Gott ein Wunder tun möge. Dass Gott den Petrus rettet.
In dieser Nacht hat Petrus Besuch bekommen. Im Kerker. Trotz Besuchsverbot.
Was nun passiert, hat Petrus kaum wahrgenommen. Der Besucher hat ihm aufgeholfen. Die Ketten sind abgefallen. Die Zelle hat sich geöffnet. Und von all dem haben die Wachen nichts mitbekommen.
Petrus glaubte zu träumen. Aber das eiserne Tor hat sich geöffnet. Petrus stand in einer Gasse der Stadt. Und der Retter war verschwunden. Für Petrus war klar - das muss ein Engel gewesen sein. Wie sonst wäre das möglich gewesen?
Erst jetzt ist bei ihm der Groschen gefallen: „Es ist wahr. Ich habe nicht geträumt. Gott hat mir seinen Engel geschickt. Ich bin frei!"

Petrus ist frei gekommen aus dem Gefängnis. Natürlich ist er zu einem der Häuser gegangen, in dem sich die Christen zum Beten versammelt hatten, und hat an die Tür geklopft.
Erschrocken haben sich die Christen angeschaut. Wer klopft? Mitten in der Nacht? Solda­ten? Eine Razzia? Wollen die uns holen?
Gerade eben noch haben sie gebetet, dass Petrus aus dem Gefängnis gerettet wird. Aber anscheinend hat niemand wirklich damit gerechnet, dass Gott das Gebet erhört. Mit allem haben sie gerechnet - aber nicht damit, dass Petrus vor der Tür stehen könnte.
Die Sklavin des Hauses wurde an die Tür geschickt. Sie hat Petrus gesehen. Und erschrocken hat sie ihm die Tür wieder vor der Nase zugeschlagen, ist zurück gerannt ins Haus: „Da draußen steht Petrus."
Keiner wollte ihr glauben. „Unmöglich. Das kann nicht sein. Der sitzt im Gefängnis. Du hast ein Gespenst gesehen."
Ist das nicht verrückt? Die halten es für wahrscheinlicher, dass ein Gespenst vor der Tür steht, als dass Gott ihre Gebete erhört.
Petrus musste noch mal klopfen. Energischer. Dann wurde er eingelassen. Brühwarm hat er erzählt, wie er frei gekommen ist, wie Gott das Gebet der Versammelten erhört hat.
Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen: Mir macht diese Geschichte Mut. Sie macht mir Mut, das Beten nicht aufzugeben - auch wenn ich mir manchmal nicht wirklich vorstellen kann, dass sich was ändern wird.
Manche sagen ja, dass Gott nur so viel tut, wie wir ihm zutrauen, wie wir von ihm erwarten. Diese Geschichte zeigt: Gott tut mehr. Viel mehr. Über unser Bitten und Verstehen.
Darum will ich weiter beten. Auch wenn ich es manchmal nicht glauben kann, dass Gott meine Gebete erhört.
Ich will konkret beten. Für das Wetter zum Beispiel. Oder dafür, dass ein Kranker gesund wird. Ich will mich nicht in Allgemeinheiten verlieren, sondern Gott mit meinen Anliegen in den Ohren liegen.
Ich gebe zu: Manchmal ist auch mein Glaube klein und rechnet nur mit dem, was uns Menschen möglich scheint. Aber die Geschichte von Petrus und seinen betenden Freunden sagt mir: Gott kann mehr.
Ja, ich weiß: Ich kann Gott nicht vorschreiben, was er tun soll. Gott ist Gott und kein himmlischer Flaschengeist, der mir meine Wünsche auf wundersame oder wunderbare Weise erfüllen muss.
Aber dieses Wissen muss mich ja nicht davon abhalten, auf Gott zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass Gott für mich sorgt, dass Gott mein Beten hört und tut, was am Ende gut für mich ist.
Eins ist auf jeden Fall klar: Trotz aller Bedenken. Trotz aller Zweifel. Wer ganz auf das Beten verzichtet, der wird auch nie die Erfahrung machen, dass Gott Gebet erhört - wenn auch vielleicht anders und oft über das hinaus, was ich mir vorstellen kann.

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