Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es gibt Menschen, die ich einfach bewundere. Weil sie ihren Ort und ihre Aufgabe gefunden haben. Der Brasilianer Dom Helder Câmara ist einer von ihnen. Heute wäre er einhundertzwei Jahre geworden.
Sein Ort waren die Slums von Rio de Janeiro und Recife in Brasilien. Seine Aufgabe: Sich einsetzen für andere. Für ihn stand fest: „Das menschliche Elend ist eine Beleidigung Gottes." Und er tat alles, um dieses Elend zu verringen. Das war gefährlich, lebensgefährlich. Auf Câmara wurden Attentate verübt. Die Militärdiktatur Brasiliens machte ihn mundtot. Dreizehn Jahre lang durfte er nicht mehr publizieren, die brasilianische Presse schwieg ihn tot. Gehör fand er nur im Ausland und bei den Armen. Und auch mit seiner Kirche hatte er es nicht leicht. Câmaras soziales Engagement war vielen in der katholischen Kirche ein Dorn im Auge. Denn die Kirche steht bis heute gerade in Südamerika vielfach auf Seiten der Herrschenden.
Was ich spannend finde: Dom Helder Câmara ist kein frommer Heiliger, keiner, der im Gebet versinkt oder der sich für die Welt zu schade ist. Und keiner, der immer weiß, was richtig ist. Sondern ein Mensch, der auch erst seinen Weg finden musste. Seine theologische Ausbildung ist noch vom Feindbild des Kommunismus geprägt. Erst viel später wird er erkennen, dass die wirklich wichtige Grenze in der Welt nicht zwischen Ost und West verläuft, sondern zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Und in den dreißiger Jahren schließt sich Câmara den Faschisten in Brasilien an. Das hat er nicht verschwiegen. Sondern er hat wenige Jahre später klar Stellung genommen. Er hat seinen Fehler erkannt und eingestanden. Was Câmara auszeichnet: Er handelt. Er gründete eine Bank für die Ärmsten der Armen, trieb die Bildungsarbeit voran. Das war sein Weg der Gottsuche. Câmara war fest davon überzeugt: Gott lässt sich nicht in luxuriösen Kirchen finden, sondern er wartet „in der Menschheit, in den Armen, in den Unterdrückten, in den Opfern der Ungerechtigkeit, für die wir alle nur allzu oft mitschuldig sind." Einen Ort finden, an den ich hingehöre, eine Aufgabe finden, die mich erfüllt. Das wünsche ich mir auch. Und erlebe bei Dom Helder Câmara: Es muss nicht nur ein Traum bleiben.

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