Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Am Ende wird alles darauf ankommen, ob wir versöhnt sind.
Es wird am Ende immer darum gehen, ob uns das Leben bitter oder dankbar gemacht hat.
Wir werden ohne Versöhnung nicht leben können. Und wir werden ohne Versöhnung auch nicht sterben können.
Und ich weiß nicht, was schlimmer ist.
In der Sterbebegleitung habe ich es immer wieder erlebt. Da liegen Menschen auf dem Sterbebett und finden einfach keine Ruhe.
So lange, bis sie endlich versöhnt sind.
Ich erinnere mich noch gut an eine junge Frau.
Obwohl es schon viele Jahre zurück liegt, steht es mir vor Augen. Seit ihrer Krebs - Diagnose hatte ich sie begleitet.
Und nun war sie an der Schwelle zwischen hier und dort angekommen.
Sie hatte sich mit dem Vater völlig zerstritten. Seit Jahren war der Kontakt abgebrochen.
Begegnungen wurden vermieden. Er hatte seine Tochter schon lange für tot erklärt. „Die ist für mich gestorben!" hatte er gesagt.
Und nun, da sie tatsächlich im Sterben lang, konnte sie nicht gehen und hat auf ihn gewartet. Tag und Nacht.
Jedes mal wenn sie Schritte hörte, jedes Mal, wenn die Tür aufging, der sehnsüchtige Blick und das enttäuschte Stöhnen.
Bis er dann doch draußen stand. Verzweifelt auf dem Flur auf und abging.
Angst und bange war ihm bei dem Gedanken, jetzt hinein zugehen und womöglich auf Ablehnung zu stoßen. War es nicht schon zu spät?
Natürlich hatte er nie aufgehört, sein Kind lieb zu haben. Ich ging mit ihm draußen auf und ab. Wir sprachen über den Schmerz und die Enttäuschung, über all das, was wir uns auch und gerade in unseren Familien gegenseitig antun können, wir sprachen über den Mut, den es braucht, endlich den entscheidenden Schritt zu tun.
Ich ließ ihn dann im Flur alleine zurück, versprach für ihn zu beten und ging draußen spazieren.
Niemand war dabei, als die beiden miteinander ihren Frieden machten, niemand hat darüber viel Worte gemacht.
Ich weiß nur noch, dass sie keine Stunde später ruhig eingeschlafen war.
Am Ende wird alles darauf ankommen, ob wir versöhnt sind mit uns, miteinander, mit diesem lieben Leben und allem, was es uns zugemutet hat.
Mit Gott und der Welt einig und einverstanden sein zu können, das wird am Ende nur noch zählen.
Loslassen kann nur, wer alles so sein lassen kann, gelassen Ja sagt und sich fallen lässt in die ewige Versöhnung Gottes.
Und das können wir schon heute üben, damit es am Ende leichter fällt.

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