Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Vergeben ja! Vergessen nein! Vergeben und Vergessen.
Das ist eine schwierige Kiste, eine Beziehungskiste.
Ich glaube ja, dass das Vergeben deshalb so schwer ist, weil viele Leute meinen, man würde damit im Nachhinein etwas gut heißen, was aber doch schlecht gewesen ist.
Deswegen fällt uns wohl das Vergeben auch so schwer. Und erstrecht natürlich das Vergessen. Aber sollen wir das überhaupt. Ist Vergeben ein nachträgliches Bagatellisieren und ist Vergessen sozusagen die Spitzenleistung, die uns abverlangt wird. Sind wir dann, wenn wir vergessen die wahren Helden des Verzeihens?
Ich finde Nein.
Und eine alte Geschichte macht das klar.
Nach dem Motto: „Das kommt in den besten Familien vor!", erzählt die Bibel ganz am Anfang schon vom Hause Jakob, in dem es 12 Brüder gibt. Und einer ist Papas Liebling. Der heißt Josef und hat ein schönes Kleidchen an, das er sich niemals schmutzig macht. Und während die älteren Brüder allesamt auf dem Feld arbeiten, träumt der kleine Josef von was Besserem, für das er sich hält.
Er reizt seine Brüder bis aufs Blut und darum kommt es eines Tages auch so weit, dass das Kind in den Brunnen fällt.
Damit gehen sie aber doch zu weit, weshalb sie ihn dann doch wieder aus dem Brunnen holen und mit der vorbeiziehenden Karawane weit fort nach Ägypten als Sklave verkaufen. Dort macht er Karriere als kluger Krisenmanager in schwierigen  Zeiten.
Und nun kommt es, dass ausgerechnet seine Brüder wegen der Hungersnot bis nach Ägypten ziehen, um sich Hilfe zu holen.
Ahnungslos treffen sie auf den verloren geglaubten Bruder. Und es wird spannend ohne Ende, bis sich Josef zu erkennen gibt und sie einander verzeihen.
Aber dieses Verzeihen hat nichts mit nachträglichem „Alles halb so schlimm!"  oder „Schwamm drüber!" zu tun. Josef sagt nämlich zu den Brüdern:
„Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!"
Er nennt also das böse Handeln beim Namen.
Was Böse war, bleibt Böse.
Es ist und bleibt Schuld. Aber die Schuld hat nur nicht das letzte Wort.
Weil Gott auch aus dem Bösesten noch was Gutes machen kann.
Und damit das Böse nicht noch mal passiert, gilt es gegen das Vergessen anzugehen.
Damit es nicht wieder passiert!
Vergeben können wir einander, weil Gott das Böse entschärfen kann.
Aber Vergessen dürfen wir nicht, damit wir gewarnt sind.

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