SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Wut ist ein starkes Gefühl. Jeder kennt sie. Nur in der Kirche spielt Wut kaum eine Rolle, obwohl die Bibel voll davon ist. Etwa bei Essau und Jakob. "Ich bring ihn um. Ich schlag ihn tut, dieses erbärmliche Schwein". Wer da seine Wut in den Himmel schreit, das ist Esau.

Eine klassische Szene in der Bibel. Ein klassischer Konflikt: Zwei Brüder, Esau und Jakob, ein Segen - und eine Wut. Man kann sie Esau nicht verdenken, seine Wut auf Jakob. Mamas unbestrittener Liebling..

Dazu noch dieser Betrug! Das Erbe, den Segen erschwindelt. Angestachelt von der Mutter. Jakob, einer der Väter des Glaubens - ein Betrüger! Auf ihn hat sich die zittrige Hand des alten Isaak gelegt. Irrtümlich den Segen gespendet, der Esau gehört. "Ich bring ihn um. Wenn der Vater nicht mehr lebt." (Gen 27, 41)

Alte Geschichten? Weit von uns entfernt? Man muß nur in die eigene Kindheit zurückgehen, ins Kinderzimmer, an den Esszimmertisch und dann in die Notariatskanzleien. Haben die Geschwister schon geerbt oder reden sie noch miteinander? Spätestens dann bricht sie auf, die stille Wut über die Schwester, die sich in der Liebe des Vaters sonnte, über den Bruder, der Mamas Liebling war und ich war es nicht.

Wut ist rot. Rot wie die Glut. Rot wie das Feuer. Rot wie der Aufruhr. Rot wie der große Weltenbrand, das apokalyptische Zorngericht am Ende aller Tag.
Ein starkes und ein unheimliches Gefühl. Es sitzt im Bauch. Nicht im Kopf. Bei Frauen wie bei Männern. Wut ist allgegenwärtig. Und selten zu sehen. Sie ist nicht gesellschaftsfähig. Man zeigt sie nicht, auch wenn man sie hat. Ein bedauerlicher Kontrollverlust. Hart an der Grenze zum Pathologischen. Cool ist in. Das kontrollierte, nicht das ausagierte Gefühl. Aber Wut ist nicht cool. Sie ist heiß. Und sie verschwindet nicht, wenn man sie nicht zeigt. Eine latente Gereiztheit, die sich manchmal entlädt, im Auto, gegenüber den Kindern.

Aber nicht in der Kirche. Denn die, die zu Christus gehören, kreuzigen ihre selbstsüchtige Leidenschaften - und die Wutausbrüche. Auch sie werden ans Kreuz genagelt. Wer solche Dinge tut, für den ist kein Platz in Gottes neuer Welt (Gal 5, 20-24).

Macht die Kreuzigung der Wut nicht erst recht wütend? "Man kann", sagt Freud in seiner betont nüchternen Art, "die Triebe kreuzigen und erwirbt sich so das Glück der Ruhe. Freilich hat man damit auch alles andere aufgegeben und das Leben geopfert." Die Kirche, der Ort, an dem alle vitalen Gefühle erstarren? "Hier fühle ich nichts" Keine Wut, aber auch keine Leidenschaft? Sein Selbst beherrscht der religiöse Mensch. Im besten Fall ist er weise, gelassen, aber nie wütend?

Warum ist die Bibel dann voller von Wut? Nicht nur auf der Erde, sondern auch im Himmel. Oder wie würde man den Vorschlag nennen, den Gott Mose am Sinai macht: "Dies ist ein widerspenstiges Volk. Ich will meinen Zorn ausschütten über sie und sie vernichten. Versuche nicht mich abzubringen! Mit dir will ich neu beginnen!" (2. Mose 32, 10). Das ist doch lupenreine, feuerglühende, destruktive, göttliche Wut. Die Wut des Schöpfergottes über seine misslingende Schöpfung und seine mißlungenen Geschöpfe.

Bliebe es im Christentum bei gekreuzigter Vitalität und einem cholerischen Wutgott, es wäre unerträglich. Aber es gehört zu den erstaunlichen Metamorphosen des jüdisch-christlichen Gottesbildes, dass die destruktive Wut, die Gott in der Sinnflut, bei Sodom und Gomorra oder am Sinai zeigt, sich wandelt in konstruktive Leidenschaft. In der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus offenbart sich der göttliche Logos als vitale und schöpferische Macht der Liebe (1. Joh 4, 9). Gott ist das liebende, schöpferische Du, ohne das unser menschliches Ich sinnlos wäre.

Dasselbe Symbol – Feuer. Dieselbe Farbe - rot, aber nicht das Feuer der rotglühenden Wut, das vom Himmel auf Sodom und Gomorra fällt. Es ist das rotglühende Feuer der Liebe, das Feuer des Geistes, das sich an Pfingsten, auf die Menschen herabsenkt und ihre Herzen mit einem Brennen erfüllt. Ja, auch der Geist Gottes brennt, aber er verbrennt nicht. Er verwandelt die destruktive Wut in schöpferische Leidenschaft. Nein, das Leben muß nicht geopfert werden im Glauben, aber verwandelt: Die destruktive Wut in die kreative Leidenschaft der Liebe, die Neues schafft.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=992
weiterlesen...