Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ausgetretene Pfade verlassen. Alles hinter sich aufgeben. Ganz neu anfangen. Ein Heiliger hat das einmal versucht. Er ist grandios gescheitet. Sein Name ist Antonius und heute ist sein Gedenktag. Vor siebzehnhundert Jahren war er der erste christliche Einsiedler und lebte in der ägyptischen Wüste - ein früher koptischer Christ.
So richtig vorstellen kann ich mir das nicht: in der Wüste leben. Noch dazu alleine. Das ist etwas anderes als ein Tagesausflug oder eine Wüstenrallye. Wer sich selbst bewusst in die Wüste schickt, der zeigt damit: ich verzichte auf Annehmlichkeiten und auf Gesellschaft. Ich will mit wenig auskommen. Das Lebensnotwendige soll mir genügen. Schluss mit der Ablenkung von dem, was wirklich wichtig ist.
Das ist ein tiefer Einschnitt. Antonius hat den Weg in die Wüste nicht auf einmal hinbekommen. Stück für Stück hat er sich in die Wüste vorgetastet. Zu guter Letzt hat er dann ein verlassenes Kastell mitten in der Wüste bezogen. Sehr arm und sehr einsam.
So saß er dann für sich allein mitten in der Wüste, umgeben von nichts weiter als Sand und ein paar alten Mauern. Eigentlich hätte sich jetzt ein tiefer Friede über ihn senken müssen. So hatte Antonius es sich jedenfalls vorgestellt. Dazu war er in die Wüste gegangen. Freiheit statt Reizüberflutung, Zufriedenheit statt Konsumrausch. Doch Antonius machte eine überraschende Entdeckung: auch ohne städtisches Leben und ohne Mitbewohner - die Ablenkungen, die Versuchungen, die hatte er alle dabei - in seinem Kopf. Auch die Ein-Mann-Siedlung im Wüstensand ist kein Stück vom Paradies. Wohin wir auch gehen, wir nehmen uns selbst mit. Die Versuchungen und Schwächen, die gehören untrennbar zum Menschen dazu. Wir werden sie nicht los.
Antonius wurde steinalt - 105 Jahre. Achtzig Jahre davon lebte er bis zu seinem Tod in der Wüste. Alles hinter sich zu lassen hatte nicht geklappt. Deshalb nutzte Antonius seine Zeit, um sich seinen Schwächen und Schatten zu stellen. Je älter er wurde, um so deutlicher spürte er: Gott liebt die Menschen auch mit ihren dunklen Seiten. Er ist ja gerade deshalb gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte, weil er die Menschen kennt und weiß, wie sehr sie das brauchen und darauf angewiesen sind. Manchmal muss man scheitern, um das zu verstehen.

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