SWR2 Wort zum Tag

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Ein Dolmetscher spielt in einem Roman des spanischen Schriftstellers Javier Marías eine entscheidende Rolle. Er hat die Aufgabe, bei einer Begegnung zwischen zwei Politikern, die nicht nur unterschiedliche Sprachen sprechen, sondern sich zudem äußerst misstrauisch beäugen, für die Übersetzung ihres Gesprächs zu sorgen.
Die Atmosphäre ist kühl, die Kommunikation kommt nur schwer in Gang. Bis der Dolmetscher zu einer List greift. Er übersetzt nicht mehr wortwörtlich, sondern gibt jedem Satz, jeder Bemerkung, eine Wendung ins Positive. Je freundlicher dabei die Worte des Einen werden, desto aufgeschlossener und entspannter ist ihre Wirkung beim Gegenüber.
Eine Geschichte über die Macht der Sprache. Je nachdem, welche Färbung wir unseren Worten geben, wird ihre Wirkung beeinflusst. Ist die Färbung negativ, dann färbt sich auch das Bild unseres Gegenübers dunkel. Die klassische Wirkung des Klatsches! Ungeprüfte Behauptungen machen die Runde. Jemand setzt ein Gerücht in Umlauf, das sich schnell selbständig macht. Die Atmosphäre ist in kürzester Zeit nachhaltig vergiftet.
In der Bibel wird immer wieder vor den Folgen übler Nachrede gewarnt. „Ein jeder Mensch", heißt es im Brief des Jakobus, „sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn". Schnell zum Hören, das heißt: gut Zuhören, bevor ich mir eine Meinung bilde. Die Sache genau prüfen, gerade dann, wenn es um ein Urteil über einen Menschen geht.
„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" lautet das 8.Gebot. Martin Luther hat ihm eine beherzigenswerte Auslegung gegeben. Er sagt darin - wörtlich, "dass wir unseren Nächsten nicht verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren."
Alles zum Besten kehren, das heißt gewiss nicht: alles unter den Tisch kehren. Aber es heißt, dem Anderen nicht von vornherein schlechte Absichten zu unterstellen. Sondern, was er sagt mit derselben positiven Haltung aufnehmen, die ich mir auch umgekehrt wünsche.
Schließlich komme ich selbst im Alltag immer wieder einmal in die Rolle des Dolmetschers. Ich muss zwischen Menschen, die sich kritisch beäugen, vermitteln. Die von Javier Marías geschilderte Szene zeigt, wie man dann Brücken bauen kann: Das, was ich höre und wahrnehme, verständnisvoll aufnehmen und - wenn nötig - zum Besten kehren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9787
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