SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es ist eine jener alten Geschichten, wie sie im Orient vorkommen. Ein Kaufmann zieht durch die Welt auf der Suche nach der schönsten Perle. Man sieht ihn durch die Basare der Hafenstädte stöbern, nach Schmuckständen Ausschau halten, mit Perlenhändlern sprechen. Immer mit der einen gleichen Bitte: ihm kein Mittelmaß anzubieten, sondern wirklich nur die schönste und kostbarste aller Perlen!
Endlich hat er sie gefunden. Ein glanzvoller Tag muss das im Leben des Kaufmanns gewesen sein. Woran er erkennt, dass er die wertvollste aller Perlen gefunden hat, erfahren wir nicht. Er weiß es einfach. Diese Perle ist es - und keine andere! Aber ihr Preis ist beträchtlich.
Glücklicherweise ist der Verkäufer der Perle bereit zu warten, bis der Kaufmann seinen ganzen Besitz veräußert hat. Das ist alles, was ich besitze, wird er gesagt haben. Um dann - mit der Perle - glücklich seines Weges zu ziehen.
Jesus erzählt diese Geschichte als ein Gleichnis. Er vergleicht die Perle mit dem Himmelreich. Das Himmelreich ist eine kostbare Perle, für das man alles andere hergibt. So schön, so wertvoll! Ich frage mich, was wäre das, wofür ich alles andere hergeben würde. Gäbe es so etwas überhaupt?
Andererseits - führt die Frage nach dem ganz großen Wert oder Ereignis, für das ich alles hingeben würde, nicht in die Irre? Denn der Kaufmann sucht ja nicht an den abgelegensten Orten, sondern mitten auf ganz normalen Jahrmärkten. Sozusagen auf den Wühltischen des Lebens, auf denen die Marktschreier ihre Ware anbieten. Dort, wo sich billiger Flitterkram mit seltenen Kostbarkeiten mischt.
Was den Kaufmann dabei kennzeichnet ist seine Wachheit und das Gefühl für den richtigen Moment. Die Gewissheit, mit der er weiß: jetzt liegt sie vor mir, die Perle, die ich suchte. Genau in diesem Augenblick!
Vielleicht finde ich an diesem jungen Tag meine Perle? Die Antwort auf eine lange gestellte Frage. Den Mut, einen bislang aufgeschobenen Schritt zu tun. Den Trost, der eine Wunde schließen hilft. Vielleicht ist die Perle in den unzähligen Augenblicken, die heute vor mir liegen, verborgen!
„Es blitzt ein Tropfen Morgentau im Strahl des Sonnenlichts", hat Gottfried Keller gedichtet, „ein Tag kann eine Perle sein und ein Jahrhundert nichts." In diesem Sinn wünsche ich mir und Ihnen den wachen Blick des Kaufmanns für die schönste aller Perlen. Kann ja sein, wir finden sie gerade heute.

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