SWR2 Wort zum Tag

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„Ein großer, dunkler Fremder wird in dein Leben treten", sagt die Wahrsagerin zu der älteren Londoner Lady, die sie aufsucht, um einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. „You will meet a tall dark stranger" - so heißt auch der jüngste Film von Woody Allen, der Anfang Dezember Premiere hatte. Leider kam er unter dem missverständlichen deutschen Titel „Ich sehe den Mann deiner Träume" in die Kinos. Denn damit wird ein wesentlicher Aspekt des Films verborgen.
Wie immer geht es bei Allen natürlich ums Verlieben und ums Entlieben, das auch im Alter nicht aufhört, um zahlreiche Beziehungsverwicklungen - wie im wirklichen Leben, nur etwas verworrener, was dann auch für die typische Komik sorgt. Aber es geht daneben um den Blick in die Zukunft, um das Spiel und um den Wunsch wissen zu dürfen, wo man vielleicht in einem Jahr stehen mag und wer man morgen sein wird.

Selten ist der Reiz größer, dem Schicksal in die Karten zu schauen, als zum Jahreswechsel. Das Datum bietet sich offenbar dafür an. Was kommt im neuen Jahr 2011 wohl auf mich zu, auf uns? Wenn ich doch nur einen kurzen Blick riskieren könnte! Einmal kurz den Vorhang heben.
In den Dezemberausgaben der Boulevardblätter wollen Horoskope die Neugier stillen. Das Fernsehen bietet Shows mit Wahrsagern an. Natürlich ist das alles Humbug. Als aufgeklärte Zeitgenossen geben wir nichts auf die Stimme der Sterne, weil die Sterne in Wirklichkeit schweigen - wie wir wissen. Und wir wissen auch, dass das Geschäft mit der Zukunft ein spekulatives Geschäft ist, voller Wunschträume und Projektionen.
Da wenden wir uns eher der säkularen Variante des Blicks in die Zukunft zu: den Prognosen. Wohl wissend (auch hier, manchmal vielleicht auch nur ahnend!), dass es sich dabei um bloße Rechenspiele handelt, die so lange Gültigkeit besitzen, bis sie entweder von anderen Prognosen korrigiert oder von der Wirklichkeit ernüchternd eingeholt werden.
Doch die brennende Frage bleibt und sie stiftet Unruhe in unseren Herzen und Gemütern: Was wird sein? Und was würde sich ändern, wenn ich heute wüsste, was morgen sein wird? Und: Würde ich mich ändern?
Die Propheten, von denen die Bibel erzählt, haben sich mehr für die Gegenwart als für die Zukunft interessiert. Es wäre ein Missverständnis, sie als Wahrsager anzusehen. Ihr Blick war nur insofern in die Zukunft gerichtet, als eine mögliche Zukunftsperspektive Relevanz für das Leben hier und heute besitzt. Die Stärke der biblischen Propheten lag darin, dass sie einen besseren Blick für die Konsequenzen hatten, die sich aus der Gegenwart ziehen lassen. Und zwar nicht im Sinne irgendwelcher Prognosen, die ihre Schwäche immer im Übersehen möglicher Koeffizienten haben. Die Stärke der Propheten bestand eben gerade in ihrer umfassenden Einsicht in die tiefsten und letzten Zusammenhänge menschlichen Daseins.
Sie glaubten nicht an ein festgelegtes Schicksal. Aber sie erkannten, dass das Tun des Menschen heute morgen Früchte trägt. Genießbare oder ungenießbare. Die Propheten waren überzeugt, dass die Zukunft nur dann gut sein würde, wenn hier und heute die richtigen Entscheidungen getroffen werden - wenn also ich, wenn wir uns im Blick auf morgen heute ändern.
Doch was sind die „richtigen Entscheidungen"? Bei allen unterschiedlichen Analysen der Gegenwart geben die biblischen Propheten eine übereinstimmende Antwort: „Setzt euer Vertrauen auf Gott!" Entscheidend ist also, dass ich erkenne, dass mein Leben samt dem unbekannten Land „Zukunft" eine Gabe Gottes ist. Es steht eben nicht einfach in des Menschen Verfügung - so sehr wir uns das bisweilen einbilden, wenn wir lebendige Organismen technisch generieren, menschliches Leben künstlich-maschinell verlängern oder die eigene Lebenszeit verplanen, als besäßen wir sie schon heute. Ich soll mein Leben gestalten - ja! Aber zunächst empfange ich es aus Gottes Hand und frage nach Gottes Maßstäben, und dann vertraue ich mich im Gelingen und Scheitern, im Leben und Sterben ihm an.

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