SWR2 Wort zum Tag

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Es war einmal ein alter König, der lag im Sterben und hinterließ seinem Sohn ein großes Reich. Der junge Prinz war aber noch unerfahren, als er den Thron des Vaters bestieg, und verstand sich nicht aufs Regieren. Da hatte er eines Nachts einen merkwürdigen Traum ...
So könnte sie beginnen - die Geschichte vom jungen König Salomo, wie ein Märchen. Ja, so könnte sie erzählt werden - die biblische Geschichte von Salomos Regierungsantritt, denn sie klingt wie ein Märchen: Im Traum erscheint Salomo dann allerdings kein kleines hässliches Männchen und auch keine zauberhafte Fee, sondern die Stimme Gottes: „Bitte um das, was ich dir geben soll!"
Der junge König - eben erst den Wirren und Machtkämpfen um die Thronnachfolge Davids entstiegen - hat einen Wunsch frei. Wie im Märchen. Salomo besinnt sich einen Augenblick. Dann antwortet er Gott: „Ich habe über ein großes Volk zu regieren. Gesetze werde ich erlassen müssen und Recht sprechen für viele und auch für vielerlei Interessen. Da wird es schwer sein richtig abzuschätzen, was gut und böse ist. Ich werde Todesurteile unterzeichnen und Gnadengesuche annehmen. Es wird eines gerechten Urteils bedürfen, wenn mich streitende Parteien als obersten Richter und letzte Instanz angehen. Darum bitte ich dich, Gott: Gib mir ein weises Herz!"
Gott war erstaunt über diese Bitte: „Du hättest auch um ein langes Leben bitten können oder um Reichtum. Doch du hast um Weisheit gebeten, und ich will dir ein weises Herz geben."
Weisheit ist heute eine verloren gegangene Tugend, kein zu erstrebender Besitz mehr. Wir sprechen von „Bildung", eignen uns „Kompetenzen" an. Doch Weisheit ist etwas anderes. In biblischer Tradition meint sie ein lebenskundliches Wissen, einen lebenslang gewachsenen Erfahrungsschatz. Üblicherweise wird einem dies erst mit den Jahren zuteil und man spricht ja auch von der „Weisheit des Alters". Umso mehr ist es nötig, am Anfang eines Weges für die Schule der Weisheit bereit zu sein. Sich für diese Gabe zu öffnen.
Salomo ist bescheiden und aufrichtig genug, den verlockenden Allmachtsphantasien dieser traumhaften Situation zu widerstehen. Er beweist Geistesgegenwart, als er die neue Herausforderung annimmt. Und recht besehen ist er bereits weise, als er um die Gabe der Weisheit bittet.

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