SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Von den meisten Weihnachtsliedern kennt man die erste Strophe, vielleicht gerade noch die zweite und dritte. Nicht überraschend also, wenn Ihnen die 6. Strophe in Paul Gerhardts Krippenlied nicht so geläufig ist, auch wenn Sie das Lied „Ich steh an deiner Krippen hier" in den letzten Tagen gehört oder gesungen haben. Sie heißt: „O dass doch ein so lieber Stern soll in der Krippen liegen! Für edle Kinder großer Herrn gehören güldne Wiegen. Ach, Heu und Stroh sind viel zu schlecht, Samt, Seide, Purpur wären recht, dies Kindlein draufzulegen."
Die Weihnachtsgeschichte berichtet nicht von einer Wiege, sondern von einer Futterkrippe. Die stand in einem Stall oder einer Felsenhöhle, die ein Dach über dem Kopf bot, aber mehr wohl auch nicht. Überhaupt erwähnt die Erzählung das Arme-Leute-Aufgebot der damaligen Zeit, allen voran die Hirten, die auf den Feldern die Herden hüteten. Die Wirklichkeit damals war nicht so romantisch, wie viele Krippenbilder zeigen. Näher betrachtet waren Maria und Josef wahrscheinlich nicht nur im Glück über ihr Neugeborenes sondern auch in Sorge.
Es wird bald klar, dass nach der fröhlichen, der seligen und heiligen Nacht das Leben weiter geht und ein Problem ums andere auf die junge Familie zukommt. Also kein Idyll in Bethlehem. Das Lukasevangelium erzählt kein Weihnachtsmärchen.
Aber können wir mit so einem nüchternen Blick denn etwas anfangen an Weihnachten? Alltag haben wir doch schon das ganze Jahr über, nun auch noch an den Festtagen?
Ja. Denn: Wenn unser Alltag keine Rolle spielen dürfte an Weihnachten und diese Tage ein märchenhaftes Idyll blieben, was sollten sie uns dann bedeuten? Dass Gott Mensch wird, soll doch unseren Alltag verändern!
Die Futterkrippe für das Gotteskind und damit die freundliche und tröstliche Gegenwart Gottes könnte und müsste zu Hause stehen, da, wo geliebt, gestritten, gelacht, geweint wird. Aber auch im Büro, in dem Termine gemacht und Leistungen erbracht werden. Oder in der Schule, in der für das Leben gelernt und gelehrt wird, nicht nur der Unterrichtsstoff sondern auch der Umgang miteinander. Und im Pflegeheim, in dem versorgt und getröstet, aber auch gehetzt und übersehen wird. ... Die Futterkrippe, in der das Gotteskind liegt und bei den Menschen ist, gehört in den Alltag. Da soll Gottes heilvolle Gegenwart spürbar sein und bleiben: im Trösten, im Lachen, im Verstehen, im Versöhnen, im Mutig-Sein. „... Suchst meiner Seele Herrlichkeit durch Elend und Armseligkeit ..." So heißt es in Paul Gerhardts Krippenlied in der 8. Strophe. Wo das geschieht, ist Weihnachtsglück auch nach den Festtagen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9711
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