SWR1 Begegnungen

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Peter Annweiler trifft Nazan Kapan, Sozialpädagogin im Mannheimer Stadtteil Jungbusch.

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Der vierte Advent ist heute. Da wird es für viele in unserem Land höchste Eisenbahn, sich um den Baum und die Geschenke zu kümmern. Früher galt das auch für Nazan Kapan.

Es war so, dass wir als Kinder auf Tannenbaum und Geschenke bestanden haben, meine Eltern haben das mitgemacht, bis wir begriffen haben, dass wir zu einem anderen Glauben gehören

Und deswegen hat hat Nazan Kapan heute keinen Weihnachtsbaum mehr. Sie respektiert christliche Feiertage als eine selbstbewusste Deutsche muslimischen Glaubens. Ihr Herz schlägt dafür, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion zusammen zu bringen. Deshalb leitet die studierte Sozialpädagogin im Mannheimer Jungbusch, wo es 70 % Migranten gibt, einen internationalen Mädchentreff.

Teil 1: Schon längst angekommen
Es ist ein klarer Wintermorgen.  Ein paar Sonnenstrahlen fallen in einen Hof im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. Ich klingle beim „Internationalen Mädchentreff" und  laufe durch die kalte Stille leerer Räume.  Wenn in ein paar Stunden die Schule aus ist, werden hier bis zu 70 Mädchen für eine ganz andere Stimmung sorgen.
Nazan Kapan, die Leiterin des Treffs,  empfängt mich auf  halbem Weg zwischen ihrem Schreibtisch und der Küche. Wir entscheiden uns für die Küche und wenig später dampfen zwei Tassen Tee vor uns. Schnell sind wir im Gespräch. Die 48jähre  Mutter eines Sohnes ist Deutsche türkischer Abstammung:

Für mich als Migrantin war es auch noch mal ganz ganz wichtig  zu sagen:
„Ok. ich leb in diesem Land und jetzt habe ich eine Stimme. Und jetzt bekommen andere Leute meine Stimme zu hören"

Schon in den 90ern hält sie Vorträge über die  Rolle der Frau im Islam. Und neben ihrer Bildungsarbeit für  Mädchen mischt die studierte Sozialpädagogin auch lokalpolitisch bei der SPD mit. Immer wieder sagen manche: „Wenn Sie's nicht gesagt hätten, hätte ich gar nicht gemerkt, dass Sie  einen „Migrationshintergrund" haben."
Über so was ist sie eher traurig als stolz. Weil ihrer Meinung nach die Zeit für solche Bemerkungen  längst abgelaufen ist. Nazan Kapan liebt ihr eigenes, frisches und  freies Denken. Und das ist auf ihre Weise auch fromm:

Ich hab was gegen dieses Schubladendenken: Strenggläubig, Schublade auf - das gibt's für mich nicht.  Jeder Mensce hat seinen eigenen Glauben, den er für sich definiert. Und ich habe meinen Glauben selbst für mich definiert, in dem ich diesen Glauben aufgespürt hab. Ich hab ihn gelesen, ich hab seine Geschichte erforscht, ich hab mir meine eigene Meinung dazu gebildet.

Eben weil sie schon als Kind neugierig und interessiert war sie schon als  Kind. Als vierjährige war sie jedenfalls sehr von ihrem Großvater beeindruckt.

Er betete und ich war als Kind so neugierig, was er in seinem Kämmerlein da tut und bin hinterher. Also diese Stimmung , die in dem Raum herrschte und wie sich dieser Mann seinem Gott hingegeben hat. Also diese Ruhe  -  die hat mich total beeindruckt. Das war etwas, wo ich gesagt habe: Ja, damit kann ich etwas anfangen, damit will ich etwas anfangen.

So hat sie sich ihre muslimische Tradition angeeignet und sagt heute auch den eigenen Leuten ihre Meinung, vor allem was das Thema Frau und Koran anbelangt.
Gerne ist die 48jährige dabei, wenn es um die Begegnung zwischen den Religionen geht.

Letztendlich beeindrucken mich Institutionen an sich nicht, aber die Menschen, die dahinter stehen: Die Begegnung mit Menschen und wir haben hier in Mannheim sehr viele Gruppen und Kreise, die den Dialog unter den Religionen fördern, anschieben, an die Öffentlichkeit tragen und ich finde ein ganz tolles Gelingen dieser Zusammenarbeit ist für uns hier in Mannheim die Meile der Religionen .

Und dafür wird alle zwei Jahre  ein großer Tisch quer über den Marktplatz gedeckt: Kirchen, Synagogen und Moscheen bewirten dann die ganze Stadt. Wichtig, dass dabei Frauen wie Nazan Kapan mitdenken.

Das ist einer der Grundsätze für mich aus dem Islam, aus dem Koran: Der Mensch ist ein denkendes Wesen, er soll sich seine eigene Meinung bilden - und die habe ich.

Teil 2: Ein anregender Blick auf Weihnachten
Bald ist Weihnachten. Aber nicht alle feiern es als christliches Fest. Für manche Christen und für die drei Millionen Muslime in Deutschland sind die Feiertage einfach nur freie Tage. Gerade manche Muslime  wollen in diesen Tagen mehr über den Ursprung des christlichen Festes erfahren. Nazan Kapan war dabei zuerst einmal erschrocken:

Was sich mir offenbart, zumindest visuell, ist diese Hast und Eile und dieses wirkt tatsächlich sehr auf Konsum gemünzt. 12.08 Und ein Weihnachtsmarkt, wo sich die Menschenmassen um Glühweinstände zusammendrängen. Und ich frag dann,  wo ist eigentlich der Ursprung, wo ist der Sinn dieser Zeit - ist der einfach noch spürbar? - Also ich spüre ihn herzlich wenig.

Von muslimischen Deutschen auf den Ursprung  von Weihnachten angesprochen zu werden - das ist eine Chance.. Für mich war es eine Chance, mir  selbst noch einmal klar zu werden:  Wie viel „alle  Jahre wieder", wie viel Routine liegt eigentlich über dem Fest und wie viele „innere Weihnachtsglut" gibt es denn in unserer Art de Feierns? Wie viel  von dem Frieden, der von einem Kind in der Krippe ausgeht, kommt eigentlich in mir und meiner Welt an?
Wenn viele der Muslime in unserem Land die weihnachtliche Friedenserklärung nicht sehen und spüren können, dann haben wir, die wir uns  Christen nennen, doch ein Problem.  Dann sollten wir uns doch verstärkt mit unserer eigenen Tradition befassen und Weihnachten von seinem Ursprung her verstehen lernen.
Von Muslimen auf Weihnachten angesprochen werden - das ist auch eine Chance zur nachbarschaftlichen Begegnung, bei der beide Seiten dazu lernen. Davon hätte Nazan Kapan rund um Weihnachten gerne mehr.

Diese Feiertage sind die Zeit,  wo wir noch intensiver merken: Wir gehören nicht dazu. Für  mich sind das nur - in Anführungszeichen - freie Tage und ich mach mir schon Gedanken: Die nächsten Tage kriegst du von den christlichen Freunden niemand zu sehen - warum eigentlich nicht?

Vor den Feiertagen Hektik  und an den Feiertagen Rückzug - diese Ansicht von Weihnachten ist Nazan Kapan zu wenig.  Ginge es nach ihr, dann könnte das auch ganz anders aussehen. Das fängt mit Rücksichtnahme an und könnte dann bis zu gegenseitigen Einladungen zu Weihnachten oder zum Ende des Ramadan gehen.

Also für mich ist es ja auch selbstverständlich, am Heiligen Abend keine Freunde anzurufen, wo ich weiß, sie sind in Familienfesten, und zu fragen: Geht ihr jetzt mit mir noch aus?  - Und dieses Selbstverständnis erwarte ich von Freunden, wenn ich meine Feste als Muslima hab: Dass das auch ne Selbstverständlichkeit wird und ich nicht angefragt  werde, wegen Arbeitstermine oder sonst irgendwas und im besten Fall  ich angerufen werde und mir ein Frohes Fest gewünscht wird - das wäre doch echt Klasse !

Zum Abschied wünscht mir Nazan Kapan einen „gesegneten Advent". Und ich nehme mir vor: Im nächsten Jahr achte ich genauer darauf  wann ich ihr ein Frohes Fest wünschen kann.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9681
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