SWR3 Gedanken

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„Mir ist nichts heilig. Es gibt nichts, das mir besonders wichtig wäre." Lässig saß der junge Mann auf seinem Stuhl und demonstrierte uns damit seine Ablehnung. Es war vor vielen Jahren während meines Studiums. Zusammen mit einer Gruppe Jugendlicher sollte eine einzigartige Ausstellung organisiert werden. Zahlreiche Menschen waren damals gebeten worden, ihre privaten Heiligtümer zur Verfügung stellen. Äußerlich banale Alltagsdinge zumeist, die aber für das Leben dieses bestimmten Menschen eine tiefe Bedeutung hatten. In einem Vorbereitungsworkshop sollten sich die jungen Leute zunächst mit ihren eigenen Heiligtümern beschäftigen. Mit jenen Dingen also, die für sie besonders wichtig geworden waren. Nur der junge Mann wollte nicht. Mir ist nichts heilig, dabei blieb er.
Ich bin noch heute überzeugt, dass fast jeder von uns irgendwelche Heiligtümer besitzt. Dinge, die wir nie wegwerfen könnten. Die wir oft liebevoll behandeln und aufbewahren. Weil sie uns Geschichten erzählen. Woher wir kommen vielleicht, oder warum unser Leben gerade diese Wendung genommen hat. In der Kirche nennen wir solche Heiligtümer übrigens Sakramente. Dort ist es dann ein Stück Brot, ein Becher Wein oder eine Hand voll Wasser. Dinge unseres Alltags. Dennoch erzählen sie uns im Kirchenraum Geschichten, die uns über Jahrtausende hinweg erinnern an den Anfang unserer Religion.
Einige Tage später übrigens trafen wir uns mit den Jugendlichen wieder. Alle sollten nun eines ihrer Heiligtümer mitbringen. Zu unserer Überraschung war auch der junge Mann wieder da, dem nichts heilig war, und - er hatte sogar etwas mitgebracht. Ich weiß heute nicht mehr genau, was es war. Aber ich erinnere mich gut, dass sein doch gefundenes Heiligtum mich damals am meisten von allen beeindruckt hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9647
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