SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„In den Herzen ists warm, still schweigt Kummer und Harm" - das wünsche ich Ihnen heute morgen und weiß dabei, dass es für viele ganz anders ist. „Sorge des Lebens verhallt, freue dich, s'Christkind kommt bald." Nach meiner Erfahrung verhallen längst nicht alle Sorgen im Advent. Im Gegenteil, manche Schmerzen und Probleme werden sogar heftiger empfunden. Mancher verborgene Kummer meldet sich gerade in diesen Wochen. Woher kommt das? Macht der Advent, der fast unentrinnbar ans Gefühl geht, uns empfindlicher? Ist es die Zeit, in der Menschen um Kerzen und Lichter näher zusammenrücken und der Weihnachtsmarkt uns den Düften und Melodien der Kindheit aussetzt? Vielleicht entsteht da auch so ein Druck: es ist Advent, da muß ich mich doch wohl und heimisch fühlen und getröstet sein. Und dieser Druck macht alles schlimmer statt besser. „Im Advent kommt mir die Welt immer besonders erlösungsbedürftig vor" hat mir neulich ein Arzt erzählt. Er meinte vordergründig die Hektik und Unruhe, die zu mehr Unfällen und Stürzen führt. Aber es steckte wohl noch mehr dahinter.

Der Advent ist ja ursprünglich eine Zeit, in der Schmerz und Sehnsucht nach Trost besonders groß werden dürfen. In der Menschen deutlich spüren, wie bedürftig wir sind, und das auch zeigen dürfen. Das Lied „Leise rieselt der Schnee" spricht von Kummer und Harm. Harm - ein altertümliches Wort für anhaltendes Leid, für Gram. Und das soll schweigen, soll leiser werden. Manchmal ist das so, oft wünschen wir es uns. Nicht umsonst sind andere  Adventslieder so sehnsuchtsvoll. Zum Beispiel: „O komm, o komm Emmanuel, befrei dein armes Israel! In hartem Elend liegt es hier, in Tränen seufzt es auf zu dir!" Da wird geklagt, geschrien, gefleht. Und auf Gott gehofft. O komm, Emmanuel - Emmanuel heißt übersetzt „Gott mit uns". Deshalb vermerken Gestapo-Protokolle aus der Zeit des Nationalsozialismus, dass Menschen dieses Lied gesungen haben. Für die Gestapo galt das als ein Bekenntnisakt. Das zeigt auch, welche Sprengkraft Sehnsucht haben kann.

Advent, die Zeit, in der ich mich nicht verstellen muß, die Zeit, in der ich kummervoll und bedürftig sein darf. Auch leidenschaftlich angesichts all dessen, was schlimm ist. Und vielleicht allmählich vertrauen, dass all die Lieder erhört werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9578
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