SWR2 Wort zum Tag

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Heute ist Nikolaustag. Für viele Kinder ist es da ein beliebter Brauch, am Abend zuvor ihre leeren Stiefel vor die Türe zu stellen und sich morgens über das zu freuen, was ihnen heimlich hineingesteckt wurde. Beschenkt werden und schenken - das gehört zum Nikolaustag, und das passt auch gut zum Heiligen Nikolaus, der ein großes Herz für die Menschen hatte.  Er lebte im 2. Jhd. als Bischof von Myra, das in der heutigen Türkei liegt.
Eine Legende erzählt, dass er einmal von einem verarmten Adligen erfuhr, der drei Töchter im heiratsfähigen Alter hatte. Der Vater war in seiner Verzweiflung kurz davor, seine Töchter heimlich zur Prostitution zu schicken, denn er konnte ihnen keine Aussteuer bezahlen und sie also nicht standesgemäß verheiraten. Da geht Nikolaus eines Abends zum Haus dieses Mannes und legt heimlich drei goldene Äpfel aufs Fensterbrett. Als die Mädchen sie am nächsten Morgen finden, kennt ihre Freude keine Grenzen. Endlich können sie heiraten.
Nikolaus erkennt die Not des Vaters, der nicht mehr fähig ist, für seine Töchter standesgemäß zu sorgen und nur noch die Fassade aufrecht hält. Nikolaus möchte ihn jedoch nicht beschämen und mit seiner Not und seinem Ansinnen konfrontieren. Und doch findet er einen Zugang zu dieser Familie. Ein Fenster. Eine Öffnung im ansonsten verschlossenen Haus. Dieses Haus steht für die Mauern und Fassaden, die wir manchmal errichten, um unser Inneres zu verbergen. Aber es gibt Fenster, kleine Öffnungen, die andeuten, wie es innen drin aussieht. „Unsere Augen sind die Fenster unserer Seele" - so sagt man. Der Gesichtsausdruck und der Tonfall unserer Stimme kann auch in kleinen Begegnungen viel mitteilen, wenn wir offen und sensibel dafür sind. So legt Nikolaus goldene Äpfel auf das Fensterbrett, die er einst selbst geschenkt bekommen hat. Er kann schenken, weil er sich beschenkt weiß. Und so macht sein Geschenk den Vater auch nicht klein. 
Diese Äpfel - rund und golden - sind ein Symbol für ein Leben, das glückt. Doch wir erfahren allzu oft, dass das Leben brüchig ist und scheitert. Eine Erfahrung, die einsam macht und sich wie ein Eisenring um die Seele legt. Doch die Äpfel erinnern an die verschüttete Sehnsucht und sie geben dem Vater das Vertrauen und die Selbstachtung wieder, dass auch sein Leben glücken kann. Das ist vielleicht das größte Geschenk, das Nikolaus ihm machen konnte.

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