SWR3 Gedanken

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Justitia hat den Kopf verloren. Das Haupt der Göttin der Gerechtigkeit liegt lächelnd auf einem Stuhl. Um die Augen eine blutrote Binde. Denn die Gerechtigkeit darf nicht auf die Person schauen. Egal ob einer reich oder arm, schwarz oder weiß ist.
Justitias Kopf wirkt friedlich. Aber vom Rest der Statue fehlt jede Spur. Der einzelne Kopf auf dem Stuhl wirkt ein wenig verlassen. Wäre da nicht die Machete unter dem Stuhl. Eine messerscharfe Waffe. Als ich das Kunstobjekt in einer Zeitschrift entdecke, denke ich sofort: Hier hat ein Verbrechen stattgefunden. Wer hat die Gerechtigkeit geköpft?
Das ist genau das, was die Künstlerin Thea Pott aus Aachen erreichen will. Sie will den Betrachter wachrütteln. „Wir alle könnten es gewesen sein", sagt sie. „Wir alle könnten die Gerechtigkeit auf dem Gewissen haben."
Ein Bild, das mich nachdenken lässt: Wo war ich letzte Woche ungerecht? Wo habe ich die Gerechtigkeit geköpft? Nicht unbedingt im Großen. Gerechtigkeit fängt im Kleinen an. Wo habe ich jemanden bevorzugt? Mich unkollegial verhalten? Mich vorgedrängelt? Oder gar gelogen?Der abgeschlagene Kopf auf dem Stuhl macht mir deutlich, dass Ungerechtigkeiten nicht harmlos sind. Kein Kavaliersdelikt. Sondern etwas Gewaltsames: Verbrechen an der Menschlichkeit.

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