SWR2 Wort zum Tag

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„CO2-Neutral" steht neuerdings in modischem lindgrün auf den Tüten, in denen unser Bäcker die Brötchen verpackt. CO2-neutrale Brötchen? Nach Lektüre der zugehörigen Erklärung weiß ich, dass nicht das Backwerk, sondern die Verpackung gemeint ist. Klimaneutral verpackt seien meine Brötchen, steht da.
Bisher war ich der Ansicht, klima-„neutral" wäre nur, das Backwerk direkt auf die Hand zu nehmen oder es allenfalls in einem mitgebrachten Stoffbeutel zu transportieren. Nur dann fällt nämlich für die Verpackung kein zusätzlicher CO2-Ausstoß an.
Nun werde ich eines Besseren belehrt. Der Hersteller der Brötchentüten, so informiert mich die Bäckerei, gleiche die CO2-Emissionen, die bei der Produktion anfallen, durch den Ankauf von Emissionszertifikaten aus. Mit dem Erlös entstehe beispielsweise eine Windkraftanlage in Indien.
Nun kann dieser moderne Ablasshandel in Sachen CO2-Emission durchaus einen Sinn ergeben, wo der Ausstoß des klimaschädlichen Gases unvermeidlich ist. Und natürlich ist es besser, wenn sich unsere Bäckerei um Klimaschutz Gedanken macht als wenn sie es nicht täte. Was mich aber bedenklich stimmt, ist das lindgrüne Logo auf der Tüte, das mir suggeriert: Es ist alles gut. Diese Tüte aus gebleichtem Papier ist das Beste, was unserer Umwelt passieren kann. Denn das ist eindeutig falsch.
Die Propheten im Alten Testament hatten ein feines Gespür für diese Art von Oberflächenpolitur, die die wahren Zusammenhänge verschleiert. „Vornehme wie Geringe", so klagt etwa der Prophet Jeremia, „gieren nach unrechtem Gewinn, Propheten und Priester täuschen mein Volk und heilen seinen Schaden nur obenhin. ‚Alles ist gut', sagen sie, ‚alles ist in Ordnung.' Aber nichts ist in Ordnung!" (Jeremia 6,13f)
Ich finde, Jeremia spricht da einen entscheidenden Punkt an. Denn es ist das eine, etwas falsch zu machen oder es hinzunehmen. Aber es ist etwas anderes, das Falsche als richtig zu verkaufen.
Das gilt auch für andere Bereiche: Wenn zum Beispiel Elektroautos als sauberes Fortbewegungsmittel der Zukunft gepriesen werden, stellt sich die Frage, woher der viele saubere Strom kommen soll, den sie zusätzlich verbrauchen werden. Wir haben ja schon genug Probleme, unseren bisherigen Energiebedarf aus regenerativen Quellen zu decken.
Ich glaube deshalb: Es lohnt sich, aufmerksam zu sein und Etikettenschwindel, wenn ich ihn entdecke, nicht auf sich beruhen zu lassen - sondern ihn aufzudecken und zu überlegen, ob ich mithelfen kann, die Situation wirklich zum Besseren zu verändern.

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