SWR2 Wort zum Tag

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Lerne leiden, ohne zu klagen! Ein grausamer Satz. Denn wer leidet und dann auch noch schweigen soll, der leidet doppelt und dreifach. Klagen und einem Klagenden zuhören ist eine humane Reaktion auf Leiden. Wer nicht klagen darf oder kann, bleibt allein mit seiner schlimmen Erfahrung. Muß alles, Schmerz, Trauer, Demütigung, Angst, im eigenen Herzen einschließen und vergraben. Das kann ein dicker, schwerer Klumpen werden. Und es macht einsam, das Geheimnis eines Leids in sich zu tragen. Wer klagt, tritt hingegen aus der Isolation heraus.
„Zum Ekel ist mein Leben mir geworden, ich lasse meiner Klage freien Lauf, reden will ich in meiner Seele Bitternis" (Hiob 10,1). So spricht zum Beispiel Hiob, ein Mann, von dem die Bibel erzählt, daß er schwer krank ist, verarmt, und daß alle seine Kinder gestorben sind. Hiob klagt vor seinen Freunden, die als Tröster versagen, und vor Gott, den er verantwortlich macht für sein Schicksal. Auch dafür, daß in seinem Unglück niemand mehr mit ihm zu tun haben will. „Meine Brüder hat er von mir entfernt, meine Bekannten sind mir entfremdet. ..Mein Atem ist meiner Frau zuwider, die Söhne meiner Mutter ekelt es vor mir.  (19,13ff.)
Hiob klagt, d..h. er macht andere Menschen und Gott aufmerksam auf sein Leiden, bis in die Einzelheiten, er schreit und weint heraus, daß er zu Unrecht leidet. Und so wird seine Klage auch zur Anklage, vor allem gegen Gott. „In Ruhe lebte ich, da hat er mich erschüttert, mich im Nacken gepackt, mich zerschmettert, mich als Zielscheibe aufgestellt. Seine Pfeile umschwirren mich, schonungslos durchbohrt er mir die Nieren, schüttet meine Galle zur Erde....Ein Trauergewand hab ich meiner Haut genäht, mein Horn in den Staub gesenkt. Mein Gesicht ist vom Weinen rot, und Dunkel liegt auf meinen Wimpern. Doch kein Unrecht klebt an meinen Händen, und mein Gebet ist lauter." (15,12ff) Hiob klagt und klagt an, und so bleibt er lebendig. Er ist nicht nur das Häufchen Elend, sondern auch der, der auf seiner Würde besteht und mit Gott rechtet. Er leidet, und er klagt. Klagen ist eine Form, nicht aufzugeben. So gibt er nicht auf, auch als er tief unten ist. Und über die Klage bleibt er im Gespräch mit Gott und mit den Freunden.
Hiobs Geschichte geht in der Bibel gut aus. Er akzeptiert, daß Gott größer ist, als er begreifen kann, er wird wieder gesund und wohlhabend, bekommt auch wieder Kinder. Aber mindestens so wichtig wie das Happy-End ist die Kraft seiner Klage.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9439
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