Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Heute hat Martin Luther Geburtstag. Der sagte von sich selbst: ich bin ein alter, stinkender Madensack.
Für meine Schüler ist ganz klar: Das Leben von Martin Luther ist ein einziger Abenteuerroman. Action ist angesagt- da geht es Schlag auf Schlag: Martin Luther gerät in ein schreckliches Gewitter und wird Mönch. Er kämpft gegen den Ablasshandel und sagt auch dem Kaiser in Worms seine Meinung. Er versteckt sich auf der Wartburg und übersetzt die Bibel ins Deutsche. Hochdramatische Dinge, die alle vorkommen, wenn Hollywood das Leben Luthers verfilmt.
Aber Drama allein füllt kein Menschenleben. Es stimmt, ohne Martin Luther hätte es keine Reformation gegeben. Doch nachdem er die Dinge angestoßen hat, nehmen sie auch ohne ihn ihren Lauf. Denn viele Mitstreiter haben sich Luthers Anliegen zu eigen gemacht.
Luther ist noch nicht vierzig Jahre alt, als er von der Wartburg zurückkommt. Er hat noch 24 Jahre vor sich. Was hat Luther eigentlich getan, nachdem er nicht mehr mit dem beschäftigt war, was ihn berühmt gemacht hat? Womit hat er seine Tage zugebracht, nachdem die Erde sich weiter gedreht und andere Menschen und Ereignisse in den Mittelpunkt gerückt sind?
Das Leben als Alt-Held stelle ich mir schwierig vor. Die Gegner lästern: Das ist der, der damals... aber jetzt... - Die Verehrer berauschen sich an der Vergangenheit und wollen ihn auf einen Sockel stellen. - Von den eigenen Erwartungen Luthers ganz zu schweigen. Gar nicht so einfach, wenn ein Held ins normale Leben zurückkehrt.
Martin Luther hat diese Rückkehr ins normale Leben ziemlich gut gemeistert. Er war ja all die Jahre Professor gewesen und ist es auch geblieben. Jetzt arbeitet er wieder die meiste Zeit in seinem Beruf. Der ganz normale Universitätsbetrieb. Was ihm den Wiedereinstieg sehr erleichtert, das sind seine Frau, seine Kinder und sein Realismus: Ein alter, stinkender Madensack taugt eben nicht zum Denkmal. Der weiß um seine Schwächen. Der weiß, dass er einmal sterben wird und dann Madenfutter wird. Das bewahrt vor Arroganz. Ein alter, stinkender Madensack nimmt sich selbst nicht so wichtig. Und ist gerade so nachhaltig wichtig. Für Andere.

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