SWR4 Abendgedanken RP

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Was passiert, wenn 30 Pfarrerinnen und Pfarrer sind mit ihrem Propst, nach Rumänien fahren, um die deutschen und rumänischen Kirchen und Konfessionen kennenzulernen?
Birgit Hamrich ist Pfarrerin und Studienleiterin in Panrod im Taunus. Sie stammt aus Siebenbürgen.

Birgit Hamrich:
Mein Anliegen ist es, unseren Kolleginnen und Kollegen hier zu zeigen, dass „evangelisch sein" auch ganz anders geht, als wir es hier ....kennen und zwar als Minderheitenkirche selbstbewußt „evangelisch sein" leben und bei unseren Kollegen in Rumänien empfinde ich es oft so, dass die viel stärker Kirche für andere sind

Siebenbürgen ist eine wunderbare Kulturlandschaft in Rumänien. Seit über 850 Jahren wohnt dort eine deutschsprachige Minderheit. Sie haben dort das Land kultiviert, haben sich in Dörfern, Städten und besonders in Kirchenburgen organisiert. Über 180 Kirchenburgen gibt es. Die Siebenbürger Sachsen sollten die Grenzen vor kriegerischen Angriffen bewahren und wurden in der Reformation größtenteils evangelisch. Als Minderheit in Rumänien waren sie immer wieder Bedrohungen ausgesetzt, wechselten die Staatlichkeit zwischen Österreich, Ungarn und Rumänien. Zuletzt unter dem Regime des Diktators Ceausescu wurden die Menschen dort unglaublichen Repressalien ausgesetzt.
Heute sind die siebenbürger Deutschen in Rumänien eine wichtige Minderheit, die das Erbe der Reformation bewahrt und durch ihre reiche Kunst und Kultur großen Einfluss ausübt.
Raimar Kremer ist Pfarrer der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und stammt aus Siebenbürgen. Die evangelische Kirche in Rumänien hat sich verändert, meint er.

Sie ist sehr klein geworden, sie hat noch genau 13 500 Gemeindemitglieder und vierzig Pfarrer, die große Distanzen auf sich nehmen müssen, um diese Gemeindeglieder zu versorgen, ein Gottesdienst zu halten, eine Beerdigung, meist auch zweisprachig, also Deutsch und Rumänisch und das wollten wir den Kolleginnen und Kollegen aus der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau einmal zeigen.

Raimar Kremer und Birgit Hamrich sehen noch eine Besonderheit an den Siebenbürgern. Sie leben als Deutschrumänen mitten unter den Rumänen. Und die sind in der Regel Mitglied der orthodoxen Kirche, in der das ausgesprochen männliche Priester- und Patriarchentum , die Ikonen und die als göttlich verehrte Liturgie im Gottesdienst eine große Rolle spielen:

Birgit Hamrich
Die Siebenbürger als Minderheit nicht nur als deutschsprachige Minderheit in einem anderssprachigen Umfeld, sondern auch was ihren Glauben anging oder vielmehr ihre Konfession anging. Also in einem orthodoxen Umfeld „evangelisch sein" zu leben, dass sich doch der orthodoxen Kirche gegenüber abgrenzt, anders ist.

Aber Siebenbürgen bedeutete zuerst einmal die alte Heimat für viele Deutsche, die heute unter uns hier leben. Wie sie ihr Land erlebt haben und was sie damit immer noch verbindet, darüber mehr nach der Musik

Teil II
SWR 4 Blickpunkt, eine Studienreise von evangelischen Pfarrern nach Siebenbürgen in Rumänien. Was haben sie dort vorgefunden?

Viele Menschen sind vor und besonders nach der Wende aus Siebenbürgen ausgewandert. Petra Schneider kam 1982 nach Deutschland und erinnert sich an das Spielen auf den Strassen von Mediasch mit seiner riesigen Kirchenburg, von allen Seiten kamen Kinder und beteiligten sich an den Wasserspielen am Strassenbrunnen. Und sie hat eine Erinnerung an die Disziplin, die der rumänische Staat ihnen abverlangte.

Also, ich hab nur die erste Klasse in der deutschen Schule in Rumänien besucht und die einprägsamste war tatsächlich dieses Aufstellen in einer Reihe in Klassenreihen im Hof in Uniform und dann die Flagge wurde gehisst und die Hymne wurde gesungen also auf Rumänisch, das ist auch, darum kann ich sie zum Teil auch noch, das ist total erschreckend, aber es ist tatsächlich so.

Sie selbst kann ausser den Teilen der Nationalhymne kein Rumänisch mehr. Als sie nach Deutschland kam, erlitt sie fast so etwas wie einen Schock, es war:

Kalt, kalt, also es war, gut es war auch November, muss man ja sagen, aber es war auch diese emotionale Kälte, die hier mir entgegengeschlagen ist, dieses jeder für sich, jeder guckt auf sein's, und das kenn ich so von Rumänien gar nicht.

In Rumänien, in Siebenbürgen hatte sie ihre Familie und in der siebenbürgischen Verwandtschaft fühlt sie sich auch heute noch wohl. Und wenn die dann unter sich ist, klingt das so:

Petra Schneider:
„Für uns ist es immer eine Freude, wenn wir zusammen in der Familie sind, wir sind dann glücklich, wenn wir unsere Sprache sprechen, das macht mich eigentlich glücklich!"

Auch Pfarrerin Birgit Hamrich erinnert sich an ihre Kindheit in Siebenbürgen. Besonders der Reformationstag in der großen Kirche mit der ganzen Gemeinde ist ihr im Gedächtnis geblieben, stehend wurde der lutherische Choral: „Ein feste Burg ist unser Gott" gesungen und sie hatte deshalb von ihrer siebenbürgischen Gemeinde die feste Überzeugung:

Ich hatte als Kind wirklich den  Eindruck, dass sie unerschütterlich in ihrem Vertrauen auf Gottes Schutz da stehen und das ist ein Bild, dass mich begleitet.

So hat sie ihre Kirche, ihre Kirchenburg von Grund auf lieben gelernt:

Es ist die Kirche wo ich konfirmiert worden bin und wo ich dann später auch getraut worden bin, wo unsere Tochter getauft wurde, und zwar ist das ‚ne helle Kirche, ‚ne große Kirche mit selbstverständlich der Kirchenburg, was aber das besondere für mich in dieser Kirche ausmacht, ist die Jesus-Statue: Ein Jesus der da steht mit ausgebreiteten, einladenden Armen. Und da fühl ich mich angenommen und gut aufgehoben.

Und gerade das möchte die Pfarrerin auch ihren Kolleginnen und Kollegen in Rheinhessen vermitteln. Wie die darauf reagierten, davon erzähle ich Ihnen nach der nächsten Musik

Teil III
Pfarrerinnen und Pfarrer aus Rheinhessen besuchen die evangelische Kirche in Siebenbürgen in Rumänien. Was hat Eindruck hinterlassen? Dr. Ernst Fellechner, Pfarrer an der Saalkirche in Ingelheim:

Da ist mir besonders aufgefallen, wie kreativ diese Kirche mit den Sparzwängen umgeht, dass wir vielleicht sogar in unsre eigene Zukunft schauen, wenn auch wir stärker sparen müssen

und Propst Michael Karg bewegt etwas anderes:

Dort haben wir Pfarrer kennengelernt, deren Gemeindegliederzahlen nun rapide runtergegangen sind und die sagen: Wir schauen nicht auf die Zahlen, sondern wir schauen auf die Aufgaben, die wir haben, und wir haben genug zu tun und man merkt es ihnen auch an, dass sie sehr freudig und sehr bewußt an diese Aufgaben heran gehen. Das ist etwas, was ich sehr wichtig finde, was wir wahrgenommen haben, was sicherlich bei denen, die es wahrgenommen haben, auch weitergehen wird.

Wie freudig die Siebenbürger evangelische Kirche den Menschen in Schule und Gemeinde, in Krankenhaus und Gefängnis beistehen, mit der ganzen Kraft ihrer evangelischen Überzeugung, das haben die Pfarrerinnen und Pfarrer aus Siebenbürgen mitgenommen. Das macht ihnen auch Mut für ihre eigenen  Aufgaben. Pfarrer Dr. Ernst Fellechner kehrt bewegt und berührt nach Rheinhessen zurück.

Für mich ganz persönlich ist irgendwo wichtig geworden, mit welcher geistlichen Traditionsverbundenheit die einfach über diese 700 Jahre durchgehalten haben und ich glaube, diese Kraft könnte sie auch in die Zukunft tragen.

Und er wünscht dieser evangelischen Kirche, der evangelischen Minderheitenkirche im rumänischen Umfeld mit den vielen Gebäuden, Pfarrhäusern und Gemeindehäusern und  den wenigen Menschen, die darin arbeiten,  etwas, zu dem er auch beitragen will.

Ernst Fellechner: Kontakte knüpfen, Kontakte halten, nicht so in dem Sinne, dass wir das Vorbild sein und wüssten, wo's lang geht, sondern lernen, partnerschaftlich von beiden Seiten, es müsste ein geistlicher Austausch stattfinden und natürlich ein finanzieller Transfer, vielleicht ist es auch möglich stärker die Pfarrer auszutauschen hinüber und herüber  und insofern dann wirklich voneinander zu lernen.

Eine evangelische Kirchengemeinde in Rheinhessen hat bereits eine große Spende für den Wiederaufbau der zum Weltkulturerbe gehörenden Kirchenburg von Deutschweisskirch überbringen lassen. Und nun soll auch weiter gesammelt werden für die Bedürfnisse der Menschen in Rumänien im Umfeld der siebenbürgischen Gemeinden. Gesammelt für ein Hospiz in Herrmannstadt, für Strassenkinderprojekte und für diakonische Aufgaben in einem sich rapide verändernden Staat.

Was Christinnen und Christen verbindet hier oder in Siebenbürgen, das fasst Birgit Hamrich so zusammen:

Birgit Hamrich
In einer Gesellschaft, wo nur noch Leistung zählt, finde ich, ist es unendlich wichtig, einen Ort zu haben, wo ich so sein darf, wie ich wirklich bin und dass ich liebend angeschaut werde und das möchte ich gerne vermitteln durch die Botschaft, die wir haben, Gottes liebevollen und zärtlichen Blick, dass die Menschen diesen Blick spüren, und sich angenommen fühlen, so wie sie sind, mit all ihren Schwächen und all ihren Stärken, mit ihren liebenswerten und unmöglichen Seiten, die sie haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9390
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