SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Samuel Opoku ist die Hauptperson einer Reportage in der Wochenzeitung „ZEIT" mit dem Titel „Die Opokus von nebenan". Der Journalist Henning Sußebach hat dafür den diesjährigen Medienpreis der Deutschen Bischofskonferenz bekommen. In feinfühliger Sprache schildert Sußebach das Leben von Samuel Opoku, seiner Frau und seinen vier Söhnen. Sie leben in Hamburg. Der Kleinste geht noch in den Kindergarten, die drei Größeren besuchen eine kirchliche Privatschule. Das leistet sich Samuel Opoku, denn das Portal zur Schule ist für ihn das Tor, durch das es seine Söhne einmal schaffen in Deutschland. Aus den Söhnen eines putzenden Afrikaners und seiner putzenden Frau sollen einmal „Doctors" werden. Wer einen Doktortitel hat, der ist oben. So sieht Samuel Opoku die Welt. Heute ist Samuel Opoku 61 Jahre alt. Als er sich im Sommer 1982 im Hamburger Hafen von einem Kakaofrachter stahl, hat er sich sein Leben anders vorgestellt. „Deutschland" - das klang für den Sohn eines frommen Goldschmieds aus einem Dorf in Ghana wie Wohlstand, Hoffnung, Zukunft. Im reichen Norden dieser Welt erhoffte er sich einen Sturmlauf und nach wenigen Jahren eine triumphale Rückkehr, mit Geld für einen Supermarkt zuhause. Es ist anders gekommen. Morgen für Morgen putzt er die Hamburger Staatsoper. Sein Sturmlauf ist zu einem Alltag voller mühsamer kleiner Schritte geworden. Und immer noch wundert er sich über das Land, in dem er jetzt lebt: Hier laufen Menschen und Hunde, mit einer Leine verbunden, durch die Straßen; Kinder geben ihre Eltern in so genannte Altersheime; die Leute hetzen zur Haltestelle und ärgern sich dann, dass der Bus noch nicht da ist. Ein Sprichwort aus seiner afrikanischen Heimat fällt ihm ein: Ihr Europäer habt die Uhren, wir Afrikaner haben die Zeit. Er hat sich eine eigene Welt mit eigenen Werten bewahrt. Die Geschichte von Henning Sußebach über Samuel Opoku und seine Familie bewegt mich sehr. Die Geschichte von dem Vater, der vor lauter Demut rückwärts die Elternsprechstunde in der Schule verlässt und zu Hause doch eine starke Autorität ist und seinen Söhnen Selbstbewusstsein gibt. Menschen mit Migrationshintergrund, wie wir politisch korrekt sagen und damit doch Distanz schaffen und Unterschiede zementieren. Ich erzähle diese Geschichte heute am Fest des heiligen Martinus. An vielen Orten  wird heute abend nachgespielt, wie Martin vor rund 1.700 Jahren vor den Toren von Amiens seinen Offiziersmantel mit einem frierenden Bettler geteilt hat. Hoch zu Ross - von oben nach unten, so stellen wir uns das vor. Wir Einheimische und die Menschen mit Migrationshintergrund, die von unseren Sozialleistungen leben und von unserem Wohlwollen. Obwohl sie doch oft so starke Menschen sind. Die ältesten Bilder zeigen den heiligen Martin übrigens nicht zu Pferde, sondern auf dem Boden - auf Augenhöhe mit dem Mann, der dadurch nicht mehr Bettler, sondern Mitmensch, Partner wird. Und in dem uns Jesus Christus selbst begegnet. Jedesmal neu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9389
weiterlesen...