SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ein Gang über den Friedhof. Rechts ein Grab, das mir ins Auge fällt. Es ist überwuchert mit Immergrün, mittendrin eine Schale mit frischer Erika. Auf dem Grabstein sitzt ein Engel. Steinern und mit Moos bedeckt. Auf seinem Gesicht liegt ein tiefer Friede. In seiner steinernen Ruhe bewacht er dieses Grab.
Zu seinen Füßen lese ich eine Inschrift, deren goldene Buchstaben schon längst stumpf geworden sind. Aber trotz aller Verwitterung heißt es da noch klar und deutlich: Sie sind uns nur vorausgegangen. Alle, die in diesem Grab liegen, sind uns nur vorausgegangen.
Vorausgegangen. Das heißt: Wer stirbt, geht den Weg, den ich auch gehen werde. Ich werde nachkommen, wann auch immer. Und es gibt ein Wiedersehen. Wo auch immer. Alles andere ist im Angesicht dieses Engels gar nicht mehr so wichtig.
Und wie ich da so stehe, habe ich das Gefühl, als ob der Friede des Engels nach mir greift. Ich lese diese wenigen Wörter und denke an all die Menschen, die ich in diesem Leben schon verloren habe. Und deren Verlust mir nach wie vor weh tut. Ich denke an all die Gräber, an denen ich schon stand. An die Tränen, an die Trauer, an den Schmerz.
Sie sind uns nur vorausgegangen. In diesen fünf Wörtern steckt so viel Gelassenheit gegenüber dem Tod. So als sei der Tod eben wirklich nur eine Station auf unserem Weg. Der mit dem Tod nicht endet, sondern weiter geht. Jenseits des Horizontes, den wir überblicken. Aber immer im Horizont eines Gottes, der uns Menschen liebt. Auch und gerade über den Tod hinaus.
In diesem Leben ist und bleibt der Tod ein Abschied. Und Abschiede tun weh. Aber in der Gelassenheit des Engels lässt sich der Schmerz aushalten. Kann ich mit dem Tod leben lernen. Weil er letztendlich ja gar nicht wirklich das Leben nimmt.
Und so verlasse ich den Friedhof und nehme das Gesicht des Engels mit. Und einen Hauch von Frieden.

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