SWR3 Gedanken

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Lutherstadt Wittenberg, Wiege der Reformation. Mitten auf dem Marktplatz der Reformator Martin Luther. Nicht in echt, sondern in Bronze gegossen, als überlebensgroßes Denkmal. Das aber monatelang in einer Werkstatt war, um aufgehübscht zu werden.
Als vorübergehenden Ersatz schuf der Künstler Ottmar Hörl 800 Miniaturausgaben des Reformators. Aus Plastik und in verschiedenen Farben zierten die „Lutherzwerge", wie sie im Volksmund genannt wurden, bis Mitte September den Marktplatz von Wittenberg.
Für die einen war es eine gelungene Kunstaktion. Anderen jedoch waren die „Lutherzwerge" ein Dorn im Auge. „Hätte Luther die Zwerge gesehen, würde er mit dem Tintenfass nach den Initiatoren werfen", schimpfte zum Beispiel ein Unternehmensberater namens Klaus Kocks und meinte die Evangelische Kirche in Deutschland.
Ich dagegen überlege, ob ich mir einen Lutherzwerg wünsche. Weil ich mir nichts Schöneres vorstellen kann als einen Reformator zum Anfassen. Und irgendwie glaube ich nicht, dass Martin Luther mit Tintenfässern geworfen hätte. Im Gegenteil: Er war einer, der dem Volk aufs Maul geschaut hat. Warum sollte so einer etwas dagegen haben, in aller Munde zu sein.
Und das ist Martin Luther. Zumindest bei all denen, die in Wittenberg wochenlang zwischen den 800 Plastikfiguren umherliefen und sich dabei so ihre Gedanken über Martin Luther und die Reformation machten. Über eine Kirche, die fröhlich und bunt, die menschenfreundlich und menschennah sein soll. Eben Kirche zum Anfassen.
Nichts gegen das übergroße Denkmal von Martin Luther. Er war schon wirklich ein großer Mann. Aber ein großer Mann, der eigentlich kein Denkmal sein wollte. Sondern ganz nah bei den Menschen. Und wenn ein älterer Herr beim Anblick eines Regentropfens auf der Nase des Plastikluther darüber sinniert, ob das jetzt reformatorischer Rotz ist, dann hätte Martin Luther darüber womöglich am lautesten gelacht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9350
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