SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Noch hängen Trauben an den Rebstöcken. Zwar ist die Weinlese längst im Gange, in allen Herbstfarben strahlen die Weinblätter. Aber bestimmte Reben bleiben aufgehoben bis zuletzt. Es ist Erntedankzeit. Bei Wanderungen hier im Rheingau konnte ich das ganze Jahr über erleben, wie es reift und fruchtet. Erstaunlich ist das Zusammenspiel von Sonne und Wetter, das schließlich in den reifen Trauben sichtbar wird. Jedes Mal, wenn ich im Gottesdienst Wein in den Kelch gieße, denke ich daran: Die strahlende Sonne ist darin, die Kraft des Erdbodens, die Arbeit der Weinbauern - ein kostbares Zusammenspiel von Mensch und Natur. Schon die alten Griechen meinten, der Wein sei ein Geschenk der Götter. Die hebräische Bibel ist derselben Meinung. Im Gottesdienst betet der Priester: „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heiles werde." Eine Auslese der besonderen Art!
Uralt ist dieser Segensspruch: Die Schöpfung im Ganzen wird gelobt und gefeiert, ein kräftiges Ja zur Erde, ein flüssiger Sonnengesang, vollmundig und fruchtig. Nicht erst die Auslese lässt einen dankbar schmecken, wie gut das Dasein sein kann. „Der Wein erfreut des Menschen Herz", heißt es fast sprichwörtlich. Im Wein ist Wahrheit, er trägt zur Gemeinschaft bei. Ein anderes Segensgebet sagt; „Wie der Wein zusammengepresst ist aus den vielen Trauben, so sammle du, treuer Menschenhirt, deine Kirche von den Enden der Erde". Völkerverbindend, grenzüberschreitend, gemeinschaftsbildend - der Abendmahlskelch des Neuen und Ewigen Bundes. Seit alters heißt die kirchliche Feier mit Brot und Wein Eucharistie: also Erntedank. Das, wovon wir in Wahrheit leben, können wir nicht selbst machen: Es wächst uns zu, es ist uns vorgegeben in den Kräften der Natur und dem Rhythmus der Schöpfung, im Zusammenspiel dann von Gott und Mensch. Im Kelch mit Wein sind die Tränen der Menschheit gesammelt, die Tränen der Freude und die Tränen der Not, alles wird gesegnet und geheiligt. Wir haben uns Jesus, den Poeten aus Nazaret als einen dankbaren Menschen vorzustellen. In allem gab er Antwort auf die schöpferische Gegenwart Gottes: So lobte er das Wachstum der Natur in den Lilien auf dem Feld und mit den Spatzen auf dem Dach, so wandte er sich den Bedürftigen zu. Im Essen und Teilen von Brot und im Trinken von Wasser und Wein wird bei hm erfahrbar, wer Gott ist und was gut tut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9295
weiterlesen...