SWR2 Wort zum Tag

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Männer weinen selten. Jedenfalls in unserer Kultur ist das Klischee immer noch verbreitet: Männer weinen nicht - und wenn, dann höchst selten. Tränen sind eine Sache für Frauen. In der Welt der Bibel ist das anders. Da weinen Männer nicht zu knapp – sondern heftig: wie Jakob und Esau, wie Joseph und Esra – ja mitunter das ganze Volk Israel. Diese Tränen markieren oft auch einen Wendepunkt. Manchmal muss man auf Tränen auch warten. Öfter habe ich schon erlebt, wie sich Trauernde dafür am Grab ihrer Angehörigen geschämt haben: „Sie - ich kann noch nicht weinen, entschuldigen Sie.“ Tränen kommen zu ihrer Zeit – früher oder später. Doch wenn sie kommen – können sie Menschen neu ins Leben stellen. Diese Erfahrung verbinde ich mit den Tränen des Petrus:
Es ist Nacht. Jesus ist verraten und verhaftet, wird verhört und verspottet. Da verleugnet Petrus Jesus. Dreimal. Dreimal tut er so, als habe er nichts mit ihm zu tun. In der Morgendämmerung kräht der Hahn, und er erinnert sich urplötzlich: „Es ist gekommen, wie Jesus es mir ins Gesicht gesagt hat: »Ehe der Hahn kräht - noch in dieser Nacht - wirst du mich dreimal verleugnen.«“ Ein Tiefpunkt eine bittere Erfahrung, eine tränenreiche auch. Es heißt in der Bibel: „Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“
Petrus hat mit diesen Tränen eine schmerzhafte Erkenntnis über sich selbst an sein Herz gelassen: „Ich habe den Mund zu voll genommen. Ich habe mein Wort nicht halten können. Ich bin daran gescheitert. Ich bin nicht der Mann, der ich sein wollte. Ich bin nicht der, der unerschrocken und treu Jesus in das Gefängnis und in den Tod folgt - wie ich gedacht und gesagt habe. Ich bin ein anderer. Ich bin so, wie Jesus mich kennt. Ein dreifacher Verleugner.“ Die Tränen des Petrus: ein Tiefpunkt und Wendepunkt – am Selbstbild scheitern und genau das unter Tränen als Selbsterfahrung ernst nehmen – das scheint mir ein Ausgangspunkt für neue Wege. Viel wird derzeit über die Reue der Terroristen der RAF gemutmaßt und geurteilt. Von deren Schuldbewusstsein gehe ich aus – ob geäußert oder verschwiegen. Das andere aber wünsche ich den Straftätern: die Fähigkeit über sich selber zu weinen. Denn: wer über sich weinen kann, wer sein Scheitern beweinen kann - kann offenbar neue Kraft schöpfen - ein neuer Mensch werden. Jesus hat für Petrus gebetet, dass sein Glaube nicht aufhöre (Lk 22,32) – hat ihm Zukunft zugetraut – trotz allem. Ausgerechnet der Jesus-Verleugner ist zum Fels geworden, auf den viele Christen bauen.
Tränen können Menschen verwandeln - sie können ein Schritt auf dem Weg zu neuem Leben sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=924
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