Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„So wie ich will. Mein Leben zwischen Moschee und Minirock". So heißt das Buch von Melda Akbaş. Sie hat dieses Jahr ihr Abitur gemacht. Ihre Eltern sind aus der Türkei nach Berlin ausgewandert. Dort ist sie groß geworden. „Ich bin Türkin, aber ich bin Deutsche." schreibt sie. Einerseits lebt sie in ihrer türkisch-muslimischen Großfamilie. Darin möchte sie verwurzelt bleiben. Aber andererseits ist sie von modernem westlichem Denken geprägt. Sie möchte ihr Leben frei und selbstbestimmt führen. Eine enorme Spannung.
Eine Entscheidung auf ihrem bisherigen Weg hat mir besonders imponiert: Mit 17 arbeitete sie bei einem Projekt mit: Sie wollte Schüler mit Migrationshintergrund ansprechen - mit dem Ziel: Sie sollen sich in ihren Schulen mehr engagieren. Doch das Projekt lief nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie merkte, woran das lag: Sie selbst lebte in einer anderen Welt als die Jugendlichen, die sie motivieren wollte. Sie dachte wie ihre deutschen Mitschüler, mit denen sie auf's Gymnasium ging. Und deshalb traf sie eine Entscheidung: Sie wechselte die Schule. Obwohl sie kurz vor dem Abitur war. Sie ging bewusst auf eine Schule mit 98 % Migrantenkindern. Denn sie wollte ihre türkischstämmigen Altersgenossen besser verstehen können. Und das hieß für sie nicht: Ich treffe sie öfter und tausche mich mit ihnen besser aus. Das hieß für sie, dass sie mit ihnen in ihrer Schulwelt leben will, dass sie ihr Leben teilt. Um sie von innen heraus besser zu verstehen. So hat sie gelernt, die Welt mit den Augen der anderen zu sehen.
Mir selbst ging es ähnlich, als ich in Guatemala war. Für kurze Zeit haben wir auf einer Kaffeeplantage das Leben von entlassenen Arbeitern geteilt, die wie Sklaven gehalten wurden. Seitdem ich mit diesen Familien mitgelebt habe, kann ich erst richtig verstehen, wie es ihnen geht.
Und diese Familien haben uns gesagt: „Euer Aufenthalt ist für uns ein Zeichen Eurer Solidarität mit uns." So wie auch Melda Akbaş sich durch den Schulwechsel mit den anderen Migrantenschülern solidarisch gezeigt hat.
Mit anderen solidarisch sein und sich in andere hineinversetzen können - das sind zwei Fähigkeiten, die einander fördern. Und zwei Haltungen, die dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft nur gut tun. 

Der Bericht über das Projekt und den Schulwechsel finden sich im Kapitel „5. Habe Mut!", S. 126-160, in: Melda Akbaş, So wie ich will. Mein Leben zwischen Moschee und Minirock, C. Bertelsmann - Verlag, München 2010, ISBN 978-3-570-10043-1.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9183
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