SWR3 Gedanken

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„Danke für manche Traurigkeiten", heißt es in einem Kirchenlied aus den 70ern. Die 80jährige Frau auf der Parkbank neben mir erzählt, dass sie dieses Lied wegen dieser einen Zeile immer wieder gerne singt.

Gerade weil sie etliche Traurigkeiten erlebt hat.
Den Krieg hat sie noch miterlebt, der Vater kam nicht zurück.
Eines ihrer Kinder hat eine schwere Behinderung.
Und vor einem knappen Jahr ist die Ehe des ältesten Sohnes zerbrochen.

„Traurig, schon wahr", sagt die korpulente Frau, „aber immer nur Sonnenschein - das ist doch auch kein Leben."

Und dann berichtet sie, wie sehr sie ihre starke Mutter bewundert hat, als die alleine vier Kinder nach dem Krieg durchbrachte. Sie sei schon manchmal traurig gewesen, und sie habe das auch gezeigt. Aber dann konnte sie sich auch wieder an vielem freuen und neuen Mut fassen. Sie blieb ihr immer ein Vorbild.

Sie erzählt weiter und als sie über die behinderte Tochter spricht, da lächelt sie. Gerade deren Entwicklung habe sie besonders aufmerksam verfolgt und bewundert. Ich glaube ihr als sie sagt: Dieses Kind hat der Familie gezeigt, was Traurigkeit wirklich ist und was Lebensfreude.

Und dann die Beziehung zu ihrem ältesten Sohn und dessen Frau. Erst durch seine Scheidung sei sie mit ihm so intensiv ins Gespräch gekommen wie nie zuvor. Das hat sie angeregt, vieles noch mal neu durch zu denken und zu bewerten. Bis heute ist sie immer wieder überrascht, wie viele gute Gründe es für ganz unterschiedliche Entscheidungen gibt. Sie verstehen sich ganz neu, sie als Mutter den Sohn, er als Sohn die Mutter.

„Ich bin dankbar für die schweren Momente", sagt sie abschließend. „Das sind im Rückblick die Zeiten, von denen ich bis heute zehre, weil sie mir den Reichtum des Lebens gezeigt haben. Die ganze Fülle an Empfindungen und Leistungen, zu denen wir Menschen fähig sind. Mein Erntedank heißt ‚Danke, für manche Traurigkeiten'."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9158
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