SWR2 Wort zum Tag

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„Gelassenheit muss man lernen. Zorn ist kein gutes Gefühl. Er macht aggressiv. Schon gar wenn man älter wird, sollte man zur Gelassenheit finden." Ein Freund meint das in einer Gesprächsrunde. Wir denken darüber nach, wie man reagiert auf schwierige Probleme, die unsere Welt in Atem halten.

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„Gelassenheit eine Tugend menschlicher Reife." Ich habe den Eindruck, viele denken ähnlich wie mein Freund. Gelassenheit steht hoch im Kurs. Wie sehen Sie es?

Im Umkehrschluss heißt das: leidenschaftliche, gar zornige Erregung über Missstände in der Welt akzeptiert man eventuell bei jungen Menschen. Aber mit zunehmender Reife sollte man sie beherrschen.

Ist Gelassenheit wirklich angemessener? Vielleicht sogar christlicher als zornige Leidenschaft? Besser als Wut ist sie sicher. Denn Wut ist gefährlich. Sie wallt heiß auf, lässt einen über das Ziel hinausschießen, in der Wut verletzt man handelt vorschnell und unkontrolliert.

Aber Leidenschaft, auch zornige, ist etwas anderes: Sie macht lebendig und drückt aus, dass jemand Unrecht nicht als naturgegeben hinnehmen will. Schon gar nicht als gottgegeben. Leidenschaft und Zorn sind starke Gefühle, die zeigen, dass jemand gegen Unrecht innerlich aufsteht und mit Menschen, die es ertragen müssen, mit leidet. Zorn kann sehr kalt sein, aber vergeht er nicht so schnell.

Eigentlich gibt es in dieser Welt viel mehr Gründe, anhaltend zornig zu sein und mich zu engagieren, als ich es tue. Dass ich mich bei vielen Dingen gelassen still bleibe, ist das nicht ein Zeichen von Leidenschaftslosigkeit, die manchmal schon beinahe zynisch ist?

Von Jesus -der sonst so liebevoll mit Menschen umgeht -  wird eine zornige Geschichte erzählt, da wird er sogar handgreiflich. Dem geldgierigen Tempelbetrieb, dem stellt er sich entgegen. Treibt die Händler eigenhändig aus dem Gotteshaus. Bei diesem Unrecht bleibt er nicht gelassen. Dass der Tempelbetrieb die Sehnsucht der Menschen nach Gott habgierig ausnutzt. Dagegen steht Jesus auf. Und das liegt nicht an seiner Jugend.

Ich glaube, Gelassenheit ist keine menschlichere Tugend als die Leidenschaft. Schon gar keine christlichere. Zornig darf es machen, wenn man sieht, wo man Menschen übel mitspielt. Dass man sie um ihre tiefsten Lebensbedürfnisse betrügt. Wenn Missstände und Leid von Menschen zum Himmel schreien. Papst Gregor der Große hat im 6. Jahrhundert ein erstaunliches Wort gesagt: „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr zur Hand geht." Leidenschaft und(!) Vernunft miteinander. Das gibt Engagement Kraft. 

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