SWR4 Abendgedanken BW

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„Nein Oma, das ess' ich doch nicht", sagt Annika. Jetzt versteht Erika gar nichts mehr. Sie hat das Lieblingsessen der Enkelin gekocht, Fleischküchle mit Kartoffelsalat. Das ist aber leider das alte Lieblingsessen. Erika hat den großen Umschwung in Annikas Leben noch nicht mitbekommen.
„Ich ess' kein Fleisch mehr, Oma, schon seit zwei Wochen, hast du das nicht gewusst?"
Nein, das hat Erika noch nicht gewusst, und jetzt weiß sie nicht, wie sie das finden soll. Sie setzt sich zu der Enkelin und schaut sie an. Dreizehn ist sie geworden und kein Kind mehr.
„Als ich in deinem Alter war", sagt Erika, „hab' ich auch eine Zeitlang kein Fleisch gegessen, weil mir die Tiere leid getan haben."
Annika schaut auf: „Das hat ja dann nicht lang gehalten, dein Mitleid, oder?"
Erika denkt, dass Annika seit neustem ziemlich schnippisch sein kann, aber sie sagt erst mal nichts.
„Ich esse kein Fleisch", sagt Annika, „weil unsere Umwelt darunter leidet. Die Tiere produzieren zu viele Abgase, und mit Getreide und Gemüse bekommt man mehr Menschen satt als wenn das erst durchs Tier hindurch zu Fleisch geworden ist - wenn du verstehst, was ich meine."
Erika denkt, dass Annika wirklich in einem schwierigen Alter ist, aber es gefällt ihr, dass sie sich so viele Gedanken macht.
„Ich denk schon lang", sagt sie, „dass wir weniger Fleisch essen sollten. Einmal in der Woche vielleicht, so wie früher? Da hat das auch gereicht. Ganz darauf verzichten will ich aber nicht, es schmeckt mir zu gut, und es sind ja auch gute Sachen drin, Eisen und so. Ich glaub, der liebe Gott hat das so eingerichtet, dass wir Menschen alles essen können."
„Was hat denn der damit zu tun?", fragt Annika.
„Ach", sagt Erika, „in der Bibel steht: 'Alles was sich regt und lebt, das sei eure Speise.'"
„Jetzt wird's aber schwierig, Oma", sagt Annika. „Da steht doch auch, dass die Menschen für die Umwelt verantwortlich sind, oder nicht?"
„Die Menschen sollen die Natur bebauen und bewahren", sagt Erika.
„Also", sagt Annika, „bewahren, und nicht ausnützen und kaputt machen. Also wär's besser, wir würden auf das Fleisch verzichten."
„Oder weniger davon essen", sagt Erika, „wärst du mit so einem Kompromiss einverstanden?"
„Wenn man es nicht anders kann", sagt Annika. „Von mir aus. Aber wenn man Bilder sieht von den Fleischfabriken, das ist doch einfach eklig und schrecklich."
„Also, das Hackfleisch für die Fleischküchle ist von unserem Metzger", sagt Erika, „und der hat das Fleisch immer vom gleichen Hof, das weiß ich genau."
„Riechen tut's ja gut", sagt Annika. „Aber, nein, so schnell werd ich nicht schwach."

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