SWR2 Wort zum Tag

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Gesegnetes Fest - hieß es in den letzten Tagen in vielen Familien aus unserer Nachbarschaft und aus dem Kindergarten unserer Kinder. Am Donnerstag ist für die Muslime der Fastenmonat Ramadan zu Ende gegangen und nicht nur für die Kinder ist das Zuckerfest ein Höhepunkt im Jahr.
Persönlich habe ich allerdings gar nicht viel davon mitbekommen. Und Sie?
In den Medien dagegen ist das Thema Islam dauernd präsent - nicht nur heute am Jahrestag der Anschläge vom 11. September: Man hört davon im Zusammenhang mit dem Streit über eine Moschee in der Nähe von Ground Zero oder in der Diskussion über das Buch von Thilo Sarrazin, der muslimische Einwanderer als Gefahr für die deutsche Kultur sieht, oder bei der Berichterstattung über die Überschwemmung in Pakistan, die Lage im Irak oder in Afghanistan - alles muslimisch geprägte Länder.
Mich irritiert diese Diskrepanz in der Wahrnehmung. Warum wissen wir beim Thema Islam oft mehr über die Probleme in Neukölln, New York oder Bagdad zu sagen als über die religiösen Überzeugungen und Traditionen unserer Nachbarn?
Das mag damit zusammenhängen, dass engere, persönliche Kontakte zu Muslimen für viele Menschen in Deutschland immer noch selten sind.
Aber auch damit, dass in unserer Gesellschaft Religion nicht als Thema für ein nettes Gespräch am Sandkasten oder beim Betriebsfest zu taugen scheint - weil dann vielleicht Differenzen auftauchen, die man aushalten muss, oder weil dann plötzlich auch die eigene religiöse Überzeugung gefragt sein könnte, die man lieber für sich behalten würde.
Die Gretchenfragen zwischen Sandkasten und Schaukel oder Theke und Tanzfläche  - da scheuen sich viele.
Ich finde das schade, denn ich glaube: über Religion kann und darf man sehr wohl reden, auch im Alltag - schließlich ist für mich Religion ja ein Teil davon. In der Bibel werden wir Christen ermutigt: Seid jederzeit bereit, von der Hoffnung zu reden, die euch trägt. Und das „mit Sanftmut und Gottesfurcht" (1. Petrus 3,15-16). Dazu gehört für mich, dass ich mich auch für die Ansichten der anderen interessiere und sie ernst nehme.
Solche Gespräche müssen meiner Erfahrung nach auch nicht sehr kompliziert sein - und sind trotzdem immer eine große Bereicherung. Wenn eine Bekannte mir davon erzählt, wie es war, als ihr Sohn beschnitten wurde, oder wenn der neue Nachbar, vom Feiertag überrascht, nachfragt, was eigentlich am Karfreitag passiert ist, dann bin ich mitten drin in einem interreligiösen Gespräch, das Verständnis schafft - persönlicher und intensiver als bei jedem institutionalisierten Dialog.
Der Gedenktag heute erinnert daran, wie wichtig solche Gespräche sind. Leider sind sie selten. Das Zuckerfest könnte ein Anlass sein, miteinander zu reden. Ich bin sicher: Es lohnt sich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9018
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