SWR2 Wort zum Tag

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Der letzte Kindergeburtstag unserer Tochter war anstrengend. Sicher, Aufregung und Tränen am Geburtstag sind bei Kindergartenkindern normal. Aber wir hatten darüber hinaus mit einem ganz grundsätzlichen Missverständnis zu kämpfen: Ich bin das Geburtstagskind, deshalb darf ich heute alles bestimmen - meinte unsere Tochter. Du bist die Gastgeberin und solltest auch schauen, ob es deinen Gästen gut geht - davon gingen wir aus.
Vielleicht hätten wir vorher darüber reden sollen. Denn zurückstecken, auf die Bedürfnisse anderer eingehen, das müssen Kinder ja erst langsam einüben. Wir Erwachsenen dagegen haben gut gelernt: Es geht nicht immer alles nach unserem Willen - das Leben ist eben kein Kindergeburtstag.
Manchmal habe ich aber den Eindruck, viele haben das fast zu gut gelernt: Sich zurücknehmen, sich anpassen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zurückstellen - besonders für Frauen galt das ja über Generationen als große Tugend, als christliche zumal.
Die Menschen, von denen die Bibel erzählt, sind allerdings oft ganz anders gestrickt. Die bestimmen sehr eigenständig über ihr Leben und fällen für ihre Umgebung manchmal unbequeme Entscheidungen. So wie Johanna, Susanna und andere Frauen aus besseren Kreisen, von denen das Lukasevangelium berichtet (Lukas 8,1-3). Die lassen ihre bürgerliche Existenz hinter sich und investieren ihr Vermögen, um sich Jesus anzuschließen.
So selbstständig zu entscheiden und klare Prioritäten zu setzen, ist bestimmt nicht leicht. Aber es ist manchmal nötig. Denn wir sollen ja Salz und Licht sein für die Welt, hat Jesus gesagt (Matthäus 5,13-14) - und nicht nur Rädchen und Schmieröl. Deshalb ist es wohl gut, dass Kinder sich nicht nur darin üben, Rücksicht auf andere zu nehmen, sondern auch lernen, unbequeme Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Sie üben das beim Spielen, wo es oft eine „Bestimmerin" oder einen „Bestimmer" gibt. Und offensichtlich auch am Geburtstag. Im Kindergarten übrigens, so erzählte mir die Erzieherin, dürfen die Geburtstagskinder bei ihrer Feier tatsächlich alles so bestimmen, wie sie es möchten. Und das wird von den Gästen klaglos akzeptiert.
Vielleicht wäre das ja auch eine Anregung für uns Erwachsene. Was wäre, wenn Sie einen Tag lang alles ganz selbstbestimmt entscheiden könnten? Wüssten Sie, was Sie wollen? Oder müssten Sie das „Bestimmen" erst einmal wieder üben? Dann wäre das auf jeden Fall eine wichtige Übung. Und eine christliche dazu.
Sie können es ja mal ausprobieren. Vielleicht an Ihrem nächsten Geburtstag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9017
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