SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Speisesaal der Jugendherberge auf der niederländischen Nordseeinsel ist gut besetzt. Neben einem Tisch döst ein Blindenhund und wartet darauf, dass seine Herrin ihr Frühstück beendet hat. Drumherum sitzen Pärchen, Singles und Familien unterschiedlicher Sprache und Hautfarbe. Die Eltern mit den sechs Kindern haben sich zwei Tische zusammengeschoben, genauso wie die Seniorengruppe. Ein Mädchen mit Gehbehinderung steuert ihren Rollator über die abgesenkte Türschwelle auf die Terrasse. Draußen fragt ein junger Mann mit geistiger Behinderung alle Gäste, wo sie herkommen - und bekommt freundliche Antworten.
Ein niederländisches Hostel im Sommer. Mich hat die Atmosphäre dort begeistert. Da treffen sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, aber alle fühlen sich willkommen. Verschieden zu sein ist kein Problem, sondern ganz normal - und sogar eine Bereicherung, weil alle bereit sind, sich auf diese bunte Mischung einzulassen.
Auch bei den Mitarbeitern der Jugendherberge ist die besondere Atmosphäre zu spüren. Alle sind für alles zuständig, niemand auf eine Rolle festgelegt. Die Chefin trifft man ebenso an der Rezeption wie beim Putzen, der junge Mann, der am Abend zuvor den coolen Barkeeper gegeben hat, zeigt am nächsten Tag beim Kinderprogramm seine fürsorgliche Seite.
Ich finde, das kommt dem ziemlich nahe, was Jesus gelebt und gewollt hat. Er hat Menschen zusammengebracht, die sich sonst nicht begegnet wären. Und er hat sie ganz neue Möglichkeiten und Fähigkeiten entdecken lassen. Weil in seiner Gegenwart eine besondere Atmosphäre - ein besonderer Geist zu spüren war, in dem sich Menschen angenommen und erst genommen gefühlt haben.
Mich hat diese Urlaubserfahrung zum Träumen gebracht. Wie wäre es, wenn unsere ganze Gesellschaft von diesem Geist beseelt wäre?
Natürlich, ich mache mir nichts vor. In einem Hostel treffen sich entspannte Menschen in Urlaubsstimmung, die meisten aus der Mittelschicht, für eine begrenzte Zeit. Und Ferienjobber, die im Herbst an die Uni zurückkehren. Im normalen Leben, umgeben von Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz, Konflikten in der Nachbarschaft und Stress im Familienalltag, ist alles komplizierter.
Trotzdem - ein wenig möchte ich diesen Urlaubstraum weiterträumen: Wie wäre das? Menschen mit Behinderungen sind überall akzeptiert und werden nicht noch zusätzlich behindert. Es ist normal, dass die eine keine Kinder hat und der andere dafür sechs. Und niemand muss das gleich bewerten. Es gibt weniger Einrichtungen nur für Kinder, nur für Jugendliche oder nur für ältere Menschen und dafür mehr Orte, an denen sich alle begegnen. Und alle können miteinander ihre unterschiedlichen Fähigkeiten entdecken.
Ein Urlaubstraum, vielleicht. Aber für mich ein sehr inspirierender.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9016
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