SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Im Gebet – öffentlich und vor anderen - „Ich sagen“ - wenn es um private Nöte und private Freuden geht - das empfinde ich oft als heikel. Umgekehrt - wenn Gottes Wirken im Gebet nur wie eine Tatsache erwähnt wird – »Gott, Du hast deinen Sohn in die Welt geschickt...« – bleibt mir das fern.

Wie menschliche Erfahrungen und Gottes Wirken zusammen gehen können – hat für mein Empfinden Paul Gerhardt in seinen Liedern stimmig zusammen gebracht. Es spricht sich in ihnen ein Glaube in der 1.Person aus, der sich umfassend der Wirklichkeit aussetzt.
Er selber hat den Dreißigjährigen Krieg durchlebt und durchlitten – er hat seiner Frau und vier seiner fünf Kinder ins Grab schauen müssen. Seine Lieder führen diese Nöte und Erschütterungen untergründig mit – wie ein Fundament (wenn er schreibt:)
„Was hast du unterlassen // zu meinem Trost und Freud,
als Leib und Seele saßen in ihrem größten Leid?
Als mir das Reich genommen, da Fried und Freude lacht,
da bist du, mein Heil kommen, // und hast mich froh gemacht.“
(EG 11,3)
Dieses intime Ich ist durchlässig für die Erfahrungen vieler - es ist kein in sich verschlossenes Nabelschau-Ich.

Das Ich in Paul Gerhardts Liedern stellt sich mit seinen persönlichen Erfahrungen in die große Geschichte Gottes hinein: „Ich steh an deiner Krippen hier – o Jesu, du mein Leben.“
Im Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud...“ meldet sich nach sechs Strophen intensiver Naturbetrachtung – urplötzlich und vehement - ein Ich zu Wort, das angesichts der Pracht dieser Geschöpfe hin und weg ist: „Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes großes Tun erweckt mir alle Sinnen...“ (EG 503,8)

Die poetische Kraft hat seine Lieder weltweit bekannt gemacht. Paul Gerhardt ging bei bekannten Sprachkünstlern in die dichterische Lehre – bei Martin Opitz z.B. Aber v.a. ist er immer ein Schüler der Poesie der Bibel gewesen. Seine Lieder atmen das Ich der Psalmen. Kein schwülstiges Herz-Schmerz–Ich, kein selbstverliebtes „Ich und der liebe Gott“ – und auch kein dogmatisch wisserisches Ich. Paul Gerhardts Ich ruft, fragt und staunt. Wie etwa im Adventslied: „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir?“
Ganz gleich ob einem jede Strophe seiner weit über 100 Lieder behagt – das ist Geschmackssache.
Doch das scheint mir ihr bleibender Charme zu sein: Das Ich dieser Lieder öffnet den Mund zum Gebet für intime und zugleich sehr verschiedene Lebenserfahrungen. Da kann ich mitsingen und mitbeten – wie so viele Menschen, die Paul Gerhardts Lieder in ihre Sprachen übersetzt haben. So ist dieser evangelische Liederdichter auch ein geistreiches Geschenk Gottes an die ökumenische Christenheit. Heute ist sein 400.ter Geburtstag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=895
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