Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Vor allem Gesundheit! Das ist die Hauptsache!" Kennen Sie das? Dieses Gerede: „Hauptsache Gesundheit...!" Mir geht das auf den Wecker. Was wünschen wir uns da eigentlich dauernd? Ist das überhaupt realistisch? Dauerhafte Gesundheit?
Normal ist nicht die Gesundheit, sondern die Krankheit, sagt eine neue Schweizer Studie. Über die Zeit von 20 Jahren hinweg hat sie dieselben Menschen nach ihrem Befinden befragt und dabei  herausgefunden: Bei den meisten Menschen gibt es weder dauerhafte Gesundheit noch lange Phasen der Gesundheit. Krankheit ist der Normalzustand. Gesundheit ist der Idealzustand zwischen zwei Erkrankungen.
Als ich das las, hab ich erst einmal geschluckt. Und es hat gedauert, bis ich das verstanden habe: Körper und Seele geraten demnach immer neu in Schieflagen. Das ist normal, das ist der Normalzustand. Immer wieder mal krank zu werden ist also ein „stabiler Zustand". Und Gesundheit ist die Phase, in der wir uns in einer vorübergehenden Balance befinden, die durchaus mal lange anhält, aber nie ewig ist.
„Hauptsache gesund" mit dem Satz tun wir so, als wäre Gesundheit so etwas wie ein Besitz. Einer, der dauerhaft zu uns gehört. Diese Tyrannei eines immer gesunden und gelingenden Lebens verstellt ja den Blick auf die Wirklichkeit. Und die finde ich viel spannender.
Wie gehen wir damit um, wenn wir krank sind? Erleben wir sie als Teil unseres Lebens, das uns geschenkt ist? Nehmen wir sie gar an - wie Hiob in der Bibel?
Hiob liebt sein Leben und seine Gesundheit. Aber als er sehr krank und unglücklich wird, verzweifelt er nicht, sondern fragt: „Wir haben Gutes empfangen von Gott. Sollten wir das Böse nicht auch annehmen von ihm?"
Weil Hiob so ganz anders mit seiner Krankheit umgeht, wird er von seiner Frau und seinen Freunden in die Zange genommen: „Sage deinem Gott ab, es gibt ihn nicht. Er hilft dir nicht." Aber Hiob bleibt dabei. Beides, Gutes und Böses will er annehmen. Da finde ich ihn richtig weise:
Gesundheit ist kein Wert an sich. Krankheit auch nicht. Wichtig ist, was man aus beidem entstehen lässt. Dankbarkeit steht bei Hiob an erster Stelle, nicht Gesundheit, sondern guter und mutiger Umgang mit der Erkrankung. Ein volles Leben gegen die Tyrannei des ewigen Idealzustandes, hin zu einer guten Wahrnehmung des Normalen.

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