SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

13AUG2010
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Wenn ein Mensch nach einer schmerzhaften Trennung oder nach dem Tod des Partners wieder die Liebe entdecken darf, dann ist das wie eine Auferstehung mitten im Leben. Das Grab, in dem die eigene Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach einem Kuss, nach einem liebevollen Blick vergraben war, öffnet sich. Zögerlich zunächst wagt er sich hinaus, tastet vorsichtig, ob er diesem Wunder trauen darf, am Anfang noch jederzeit bereit, sich wieder in die Dunkelheit zurückzuziehen. Lieber tot bleiben als noch einmal so leiden müssen. Die Wunden schmerzen noch, selbst die Erinnerung tut weh. Darf die Haut wirklich wieder diese aufregende Nähe einer streichelnden Hand spüren? Mag ich einen anderen Menschen so nah an mich heranlassen? Nicht immer wohnt dem Anfang einer späten Liebe ein Zauber inne. Da ist zuerst auch viel Angst davor, enttäuscht zu werden, Sorge darum, was andere wohl sagen mögen, ein Misstrauen dem eigenen Herzen gegenüber, das doch schon weiß, was sich der Kopf noch nicht eingestehen will: Dieser Mensch berührt mich im Innersten meiner Seele, erkennt mich tiefer, als ich mich selbst kenne. Aber - darf ich meinem Herzen trauen? Deshalb ist die erste Zeit einer späten Liebe oft genug eine Zeit des Wartens und Zurückweichens, manchmal auch der Trauer, bis endlich der Sprung aus der Gruft riskiert wird. Diese Liebe braucht viel Geduld, auf beiden Seiten. Wie bei der Auferstehung ist es keine einfache Wiederholung dessen, was vorher war, sondern etwas unbekannt Neues. Die neue Liebe ist anders als die, die vergangen ist, muss es auch sein, und zugleich muss sie die Vergangenheit achten. Wer meint, in der neuen Liebe eine Rückkehr der alten zu finden, der sitzt noch in der Grabkammer des Vergangenen. Maria Magdalena erkannte den auferstandenen Christus, als der sie beim Namen rief, und so erkennt der Geliebte, der eben noch gefesselt war in den Leichentüchern alten Kummers, die Wahrheit der neuen Liebe an diesem Klang, der nur entsteht, wenn ein Name liebevoll gerufen wird. Und noch etwas ist neu: Die erste Liebe wähnt sich oft unsterblich, die späte weiß darum, dass ihre Zeit begrenzt ist. Das macht sie in einer einzigartigen Weise kostbar. Menschen, die sie erfahren dürfen, sind zutiefst dankbar. Jeder Kuss ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Gottesgeschenk, so wie der Mensch, der mir geholfen hat, aus dem Grab verlorener Träume zu springen, um das Leben neu zu wagen, ein Geschenk Gottes ist.  Eine Kostbarkeit, ein Kleinod, funkelnd in der Sonne eines Sommermorgens: Späte Liebe.

 

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