SWR2 Wort zum Tag

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12AUG2010
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Scham

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Der Weg zur Hölle ist ganz einfach: ich muss mich nur schämen. Diese vernichtende Scham, die nicht das Private schützt, sondern es im Gegenteil verurteilt und preisgibt. Wie peinlich! Das kennen schon Kinder, schämst Du Dich nicht, diese schreckliche Frage, die Hölle kann früh beginnen. Sie öffnet ihre Pforten auch weit für Erwachsene. Wenn ich mich schäme, bin ich ganz allein. Die anderen Menschen rücken ab von mir, sie existieren nur als Fratzen, die mich auslachen. Ich versuche, die Reste meines Selbstbewusstseins zusammenzukratzen. Doch ich kann nur den Blick senken. Meine Seele blutet. Wer hilft aus dieser Hölle?
Jesus schien immun gegen jede Scham zu sein, die ihn klein machen wollte, die ihn zwingen wollte, den Blick zu senken. Ich glaube, das lag daran, dass er nie den Blickkontakt zu Gott aufgab. Bis zum Schluss gab es Leute, die über ihn spotteten. Und später gab es viele, die fanden seinen Weg nur lächerlich. Der Apostel Paulus wird schreiben, dass der Glaube an diesen Jesus Christus gerade den Gebildeten lachhaft war. Nicht ernst zunehmen. Peinlich, so ein Glaube. Allerdings wird sich Jesus nicht schämen. Er schlägt sich nicht die Hände vor´s Gesicht, er wird nicht schamrot. Denn nur so wird er wieder frei, der Weg aus der Hölle.
Jesus geht mitten hinein in das Reich der Scham. Lächerlicher kann niemand mehr sein. Wenn Christus sich so zum Gespött der Leute macht und sich nicht schämt, dann ist das der Weg aus der Hölle ins Paradies. Da wird die Scham von innen heraus zersetzt. Denn sie funktioniert nur, wenn man mitspielt und den Blick senkt, ihren Gesetzen gehorcht. Aber Gott hat sich in die Hölle der Scham begeben ohne ihren Gesetzen zu gehorchen. Erhobenen Hauptes.
Jesus geht diesen Weg. Jesus urteilt nicht. Er lacht nicht über uns. Für alle, die in der Hölle sitzen, weil sie sich zu Tode schämen, muss er seinen Weg gehen, damit sie ihren Heiland auf Augenhöhe erkennen können. Muss seinen Weg gehen um der Menschen willen, die sich sonst heillos in ihrer Scham verstricken würden - ohne jede Hoffnung auf Erlösung.  Er will nicht über uns lachen sondern mit uns, ein befreites Lachen, ein Lachen über die Hölle. Richtig paradiesisch.
Schämst du dich denn nicht, wenn dein Musiklehrer mit dir schimpft, fragte ich einmal mein Kind. Nein, Mama, antwortete mein Sohn, schämen bringt´s nicht, ich mach es lieber das nächste Mal besser, da hab ich mehr von! Und dann hat er so gegrinst, und da hab ich mir gut vorstellen können, dass mir mindestens ein Engel einen Tritt in den Hintern versetzt für meine dämliche Frage: Schämst du dich denn nicht. Und dass mindestens zwei Engel meinem Kind kräftig applaudieren und drei andere dem Teufel die Zunge rausstrecken. Und mein Kind grinste noch immer, und da wusste ich: wir sind gar nicht weit entfernt vom Reich Gottes.

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