SWR2 Wort zum Tag

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„Wohin denn ich?" Diese Frage der Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz mag sich mancher in Zeiten der Einsamkeit und Verlassenheit stellen, wenn er sich wie in der Wüste fühlt: ausgebrannt und orientierungslos.
„Wohin denn ich?" Das ist auch die Frage Hagars. Im Alten Testament wird von ihr erzählt. Sie kommt aus Ägypten, ist Sklavin von Sara, der Frau von Abraham. Abraham und Sara sind kinderlos. Deshalb benutzt Sara ihre Sklavin Hagar, schickt sie zu Abraham, um durch sie einen Nachkommen zu bekommen. Hagar gehorcht ihrer Herrin und wird schwanger. Sie zeigt ihre Freude, ihr Glück, das über das Unglück der kinderlosen Sara triumphiert. Sara kann mit dieser Situation nicht umgehen. Sie demütigt Hagar wo und wie sie nur kann.
Und Hagar? Sie flieht, weil sie nicht mehr ein und aus weiß, bricht aus dieser unwürdigen Situation aus. Sie scheint frei, aber ihr Weg ist ein Weg in die Wüste. Statt Erniedrigung und Demütigung nun Öde und Einsamkeit.
„Wohin denn ich?" Denkt das nicht mancher, wenn sein Leben aus der Bahn gerät, wenn er nicht mehr ein und aus weiß, seine Zukunft dunkel erscheint?
Was für ein Leben, denkt auch Hagar. Warum bin ich zu diesem Volk Israel gekommen? Ich hatte von ihrem Gott gehört, der auf allen Wegen begleitet. Was für ein Gott, habe ich gedacht, einer der mit-geht. Ein solcher Gott sollte auch mein Gott sein. Aber wie sieht jetzt mein Leben aus? Leer und sinnlos. Wer bin ich denn? Eine Sklavin, ohne Zukunft, ohne eine eigene Geschichte.
In dieser Situation begegnet Hagar jemand, der sie wahrnimmt. Ein Engel. Er fragt: „Wo kommst du her, und wo gehst du hin?" „Ich weiß es nicht. Nur weg", sagt Hagar, „weg aus diesem Nichtleben." „Sieh in die Zukunft", sagt der Engel. „Gehe deinen Weg, auch wenn er mühsam ist. Kehre um. Wachse an dem, was vor dir liegt. Gott ist mit dir.
Mir sagt diese Geschichte: Fliehe nicht vor dem, was sich dir in den Weg stellt, sieh nicht nur das Schöne, sondern akzeptiere auch Leid und Schmerz als Teil des Lebens. Du hast eine Geschichte, und es gibt ein Morgen. Du bist nicht allein. Die Geschichte sagt auch, dass ich darauf angewiesen bin, dass gerade in Wüstenzeiten jemand da ist, der mich wahrnimmt, der zum Einhalten bewegt und der fragt: Wo kommst du her? wohin gehst du?  und der ermutigt, nach vorn zu sehen, um den Weg aus Einsamkeit und Verlassenheit zu finden.

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