Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In der Stadt Gordion zeigte man vor langer Zeit stolz einen Ochsenkarren. Der stand als Andenken an ein wichtiges Ereignis im örtlichen Tempel. Das Wichtigste an dem Ochsenkarren war jedoch ein Knoten. Dieser Knoten hat die Zugstange des Wagens und das Joch für die Ochsen miteinander verbunden. Das Besondere an diesem Knoten war: man bekam einfach keinen Anfang zu fassen. Keiner konnte ihn lösen. Dabei gab es die Prophezeiung: wer diesen Knoten löst, der wird ein großer Herrscher werden. Viele versuchten sich vergeblich an diesem Knoten, bis Alexander der Große vorbeikam. Der wollte herrschen, konnte sich nicht beherrschen und schlug den berühmten gordischen Knoten mit seinem Schwert einfach in Stücke.
Warum auch nicht. Manchmal muss man kurzen Prozess machen. Manchmal muss man „Basta" sagen, sich einfach durchsetzen und dann ist Ruhe. Alexander mit dem Schwert zeigt: Der Zweck heiligt die Mittel. Da sage noch einer, Gewalt sei keine Lösung.
Allerdings gibt es zur Geschichte noch eine zweite Variante, die geht ganz anders. Da betrachtet Alexander den Knoten in aller Ruhe und stellt dann fest, dass der Knoten in der Mitte von einem kleinen Pflock zusammen gehalten wird. In dieser Version der Geschichte überlegt Alexander ein Weilchen und zieht dann diesen Pflock einfach heraus; und der Knoten fällt auseinander.
Woran es wohl liegt, dass diese Fassung der Geschichte viel weniger bekannt ist als die mit Schwert? Kommt ein kräftiger Schnitt mit der Klinge besser an als eine unscheinbare Handbewegung? Ich finde die zweite Fassung jedenfalls viel sympathischer. Ohne Schwert, aber mit Fingerspitzengefühl löst Alexander das Rätsel. Die Bibel fordert uns immer wieder dazu auf, solche Lösungen zu suchen. Es geht um Alternativen dazu, groß und mächtig dastehen zu wollen. Statt auf dem Weg alles kurz und klein zu schlagen, lernt man sich selbst kennen. Alexander, der den Pflock aus dem Knoten zieht, beherzigt die Weisheit der Bibel. Dort heißt es: Ein Geduldiger ist besser als ein Starker und wer sich selbst beherrscht, besser als einer, der Städte gewinnt.

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