Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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12MRZ2007
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Als Kind habe ich es als höchst peinlich empfunden, wenn wir Besuch zu Hause hatten und jemand der Gäste auf die Toilette musste. Ja richtig geschämt habe ich mich. Denn diese Toilette war alt, eng, kein bisschen modern, so nach heutigem Standard. Für mich eine richtige Familienschande. Für mich ist die Toilette ein Bild, wie eng Menschen in ihre Familie verstrickt sind.
In dem Dokumentarfilm »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« von Malte Ludin, geht es auch um solche Familienbande. Geht es auch um den Schatten, den die Familie auf einen wirft. Der Vater des Filmautors ist in der Hitlerzeit in die NS-Verbrechen verstrickt und das ganz gewaltig. Dies bedeutet für Malte Ludin eine ungeheure Last. Schritt für Schritt versucht er die Lebensgeschichte seines Vaters aufzudecken. Langsam muss er sich von seinem idealen Vaterbild der Kindheit verabschieden. So verwandelt sich der Vater von einem Held des Krieges zum angeklagten NS-Verbrecher. Ein schmerzlicher Prozess und eine tiefgreifende Erfahrung. Denn wie soll Ludwin diesen Konflikt zur Sprache bringen, wenn doch der Ruf und die Ehre der Familie auf dem Spiel steht. Wenn er sich anhören muss, dass er Schande auf die Familie bringen wird?
Ludwins Schwestern tun sich schwer, die Realität der Familie anzunehmen. Besonders die ältere Schwester von Ludwin versucht den Vater als Helden weiter leben zu lassen. Sie lässt den Familienkonflikt nicht zu, sie verhaart im alten Bild des intakten, heldenhaften Vaters. Sie möchte den Familienmitgliedern alle Peinlichkeiten ersparen. Die andere Schwester schafft es beide Facetten des Vaters leben zu lassen. Das Gute und das Verwerfliche und Peinliche.
Der Film »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« kann andere ansprechen und ermutigen, sich der eigenen Familiengeschichte zu stellen. Der Autor selbst gewinnt durch den Film eine versöhnliche Haltung zu dem Vaterbild seiner Jugend und der Hitlerzeit.
Geschönte Lebensgeschichten – die keine Peinlichkeiten kennen und wahrhaben wollen, sind nicht hilfreich. Selbst die Lebensgeschichte Jesu ist voll von Peinlichkeiten. Eine Geburt in einem zugigen Stall. Der Vater, der nur der Stiefvater ist. Die unehelich schwanger gewordene Mutter. Später ist es der Freundeskreis, der sich nicht mit Ruhm bedeckt: Jesus wird von Judas verraten, und wenig später von Petrus verleugnet.
Doch gerade die Auseinandersetzung mit den schmerzlichen und peinlichen Familienszenen sind notwendig, um das Leben auch nur ansatzhaft verstehen zu können.

Hinweis: »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« von Malte Ludin, Freitag, 15. April 2005, 17:00 Uhr im HR

https://www.kirche-im-swr.de/?m=879
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