SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In unserer Nachbarschaft verbringen ältere Damen in einem Haus mit einer Pflegeabteilung ihren Lebensabend. Mehrfach am Tag machen sie, oft gestützt auf einen Rollator, ihren Rundgang. Immer wieder bleiben sie an der Rabatte vor dem Haus, in dem wir wohnen, stehen und betrachten die Blumen. Man sieht: Sie freuen sich daran. Genau verfolgen sie, was im Wechsel der Jahreszeiten aufgeblüht ist. Wenn sie uns bei der Gartenarbeit antreffen, sagen sie, wie gerne sie stehen bleiben und die Blumen betrachten. Manchmal sehen sie sich eine besonders prächtige Rose genauer an und gehen mit einem Lächeln weiter. Ich frage mich immer wieder: Sehen sie denn nicht das Unkraut, das immer wieder nachwächst, meinen kritischen Blick von den Blumen ablenkt und mich daran erinnert, was ich noch nicht getan habe? Ich vermute: Sie sehen es. Aber ihr Blick bleibt an der Schönheit der Blüten, an ihren Formen und Farben haften. Sie lassen sich von dem, was man da auf dem Beet auch noch sehen kann, ihre Freude nicht nehmen.
Sie haben, denke ich, im Anblick der Blumen etwas Wichtiges verstanden: Die verhindern nicht, auch zu sehen, was nicht so schön ist. Sie nehmen ihnen auch nicht ihr Alter und so manche Beschwerden. Aber wenigstens einen Augenblick tritt bei ihrem Anblick all das in den Hintergrund und machte der Freude Platz, der Freude am Schönen mitten im Alltag. In jedem Alltag gibt es noch viele andere Anlässe sich zu freuen. Sie löschen Unerfreuliches im Leben nicht aus. Aber sie schaffen kleine Inseln zum Atemholen. Man muss diese nur bewusst betreten. Die Blumen können die Augen für sie, für das Erfreuliche mitten im Alltag öffnen.
Auch Jesus hat gemeint, man könne von den Blumen lernen. Seine Freunde, die ihr altes Leben hinter sich gelassen hatten und bei ihm waren, hat er einmal auf die Lilien auf dem Feld aufmerksam gemacht. Die wachsen wild, sind irgendwann verblüht und verdorren. Aber ihre Blüte ist von unvergleichlicher Pracht, schöner als die noch so prächtige Kleidung der Könige. Dafür „tun" sie nichts. Gott hat sie so geschaffen, ihnen ihre Schönheit geschenkt. Wird er den Menschen, die er liebt, nicht noch viel mehr schenken als den so rasch verblühenden Blumen? Können diese dann nicht ihre Angst vor der Zukunft hinter sich lassen, die Sorge, dass sie nicht genug haben und zu kurz kommen? Freiheit von der Sorge können die Lilien lehren. Jesus fügt dann hinzu, was an die Stelle der Sorge treten soll und das Leben gelingen lässt: Auf Gott, auf sein Wirken jetzt und in Zukunft vertrauen, und zuversichtlich tun, was man als richtig und gut erkannt hat.

 

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