SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Manchmal wache ich morgens mit einem Glücksgefühl auf. Ich habe fest geschlafen und freue mich auf den Tag, der vor mir liegt. Ich fühle mich gut, bin dankbar dafür, dass ich lebe, aufstehen kann und dass sich gesundheitliche Beschränkungen, die zu meinem Alter gehören, in Grenzen halten. Ich bin froh, dass mir Zeit geschenkt wird, Zeit zu leben.
Es gibt auch die anderen Tage. Schon am Morgen ist alles Grau in Grau. Ich hatte etwas in die Nacht mitgenommen, was mich am Vortag belastet hat, lange nicht einschlafen können und Probleme gewälzt. Ich weiß, dass an dem Tag, der vor mir liegt, nicht gelöst ist, was mir den Schlaf geraubt hat. An einem solchen Morgen fühle ich mich wie gefangen, gefangen von einem Problem oder von Lebensumständen, die ich kaum beeinflussen oder nicht lösen kann. Ich fühle mich unfrei und bäume mich dagegen auf. - Sie werden dieses Gefühl auch kennen.
Vielleicht hilft Ihnen und mir, was einer, der in einem wirklichen Gefängnis saß und nicht wusste, ob er noch einmal herauskommen würde, von sich berichtet. Er habe gelernt, mit allem, was ihm widerfährt, zufrieden zu sein. Er könne sich ganz unten fühlen und dann wieder oben auf sein, sehr glücklich und dann wieder voll Hunger nach Leben. Er könne im Überfluss leben und ihn genießen, könne aber auch den Mangel akzeptieren. Kann man so unabhängig sein von Lebensumständen? So frei? Oder nimmt da einer den Mund zu voll?
Der Gefangene, der von seiner großen Freiheit spricht, ist Paulus, der große Theologe der frühen Christen. Er hat in seinem Leben und Wirken Erfolge gehabt, hat aber auch viel gelitten und ist immer wieder an schmerzhafte Grenzen gestoßen. Was hat ihn so frei gemacht? Eine Beziehung. Die Beziehung zu Christus. Er glaubt, dass Christus an seinem Glück und seinem Leid teilnimmt. -Ich weiß: Mir wird leichter, wenn ein naher Menschen teilnimmt, wenn es mir nicht gut geht. Und mein Glück wird größer, wenn ich es teile. Die Beziehung zu einem Menschen, der einen liebt, verändert Leid und Glück; sie macht unabhängiger von guten und schweren Erfahrungen. Paulus glaubt, dass er von Christus unter allen Umständen geliebt wird. Seiner Liebe vertraut er im Glück und im Leid. Dieses Vertrauen ist stärker als alle Lebensumstände. Ich bin gewiss: Mit einem solchen Vertrauen werde auch ich unabhängiger von dem, was mir widerfährt. Wie ich aufwache, bestimmt nicht mehr den Tag, der vor mir liegt. Das Vertrauen lässt mich den Tag zuversichtlich beginnen. Es macht frei.

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