Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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 Der einzige Sohn einer Witwe stirbt. Das ist menschlich natürlich ein Drama, weil eine Mutter ihr Kind verliert. Aber zur Zeit Jesu  war das auch ein soziales Drama, denn der Sohn war für den Lebensunterhalt seiner Mutter zuständig. Er war die soziale Absicherung. Eine Frau wurde erst vom Vater, später von ihrem Ehemann und zuletzt von den Söhnen finanziell versorgt. Mit dem Tod des einzigen  Sohnes war also für eine Witwe auch die eigene Zukunft gefährdet.
Das ist der soziale Hintergrund der biblischen Geschichte des Jünglings von Nain. (Lk 7,11-17). Jesus begegnet mehr oder weniger zufällig einem Trauerzug. Und in der Bibel wird uns berichtet, dass Jesus Mitleid empfand mit der Witwe.
Das klingt im ersten Moment selbstverständlich, ist es aber nicht. Eine Freundin von mir wurde mit Mitte 40 Witwe. Die macht ganz andere Erfahrungen. Die Menschen in ihrer Nachbarschaft gehen ihr aus dem Weg, grüßen nur kurz, fragen nicht nach ihrem Wohlergehen, manche wechselen sogar die Straßenseite, um nicht mit ihr sprechen zu müssen.Schon nach relativ kurzer Zeit trägt sie nicht mehr Schwarz, damit ihre Nachbarn nicht dauernd an den Todesfall erinnert werden. Sie selbst fängt auf der Straße Gespräche an, gibt sich freundlich und interessiert an den Problemen ihrer Mitmenschen und redet von sich aus fast nie über ihren verstorbenen Mann.
Brigitte erfährt kein Mitleid, im Gegenteil, sie muss darum kämpfen, dass sie nicht zusätzlich isoliert wird. So wie ihr ergeht es erschreckend vielen Menschen. Wer von Arbeitslosigkeit betroffen wird oder von einer Krebserkrankung oder auch davon, dass ein Angehöriger im Gefängnis sitzt, der kann ein Lied davon singen. Andere Menschen meiden ihn, haben Angst, das Leid könnte anstecken.
Da lobe ich mir das Mitleid, das Jesus empfindet Er geht auf die Frau zu und sagte: weine nicht. Das kann er auch gut sagen, denn er hatte ja Großes für sie vor: Er erweckt ihren Sohn wieder zum Leben.
Das kann ich natürlich nicht, aber ich will mir trotzdem ein Beispiel an Jesus nehmen. Ich will ganz bewusst auf Menschen zugehen, die ein schweres Schicksal haben. Ich will sie fragen, wie es ihnen geht und mir die Zeit nehmen, ihnen zuzuhören.
Ich kann das Leid nicht wegnehmen, aber ich kann tragen helfen - ein wenig mit-leiden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8723
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