SWR2 Wort zum Tag

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Alles umsonst. So lautet der Titel des neuen Romans von Walter Kempowski. Er erzählt die Geschichte von Menschen in den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945. Es sind ganz besondere Gestalten, die uns da begegnen – auf einem Gutshof irgendwo in Ostpreußen unweit der russischen Grenze.
Noch hält die Front. Aber ihr Grollen lässt schon den Boden des Hauses erzittern, auf dem jener Georgenhof, der im Mittelpunkt des Romans steht, erbaut ist. Gene-rationen haben hier gelebt: Gutsherren, Bauern und Knechte.
Noch ahnt niemand, wie radikal sich das Leben in den nächsten Tagen und Wochen verändern wird. Schon bald aber werden auch die Bewohner und Gäste dieses be-schaulichen Gutshofes gezwungen sein, mit wenigen Habseligkeiten auf den großen Treck zu gehen – dem frischen Haff entgegen, wo man sich Rettung erhofft und wo so Viele im brechenden Eis der Ostsee den Tod finden.
Alles umsonst. Das Buch von Walter Kempowski behandelt ein Kapitel deutscher Geschichte, das über viele Jahrzehnte tabuisiert war: die Flucht und Vertreibung aus dem ehemaligen Osten Deutschlands. Jetzt erst scheint die Zeit gekommen, sich ohne ideologische Voreingenommenheiten damit auseinander zu setzen.
Kempowski stellt seinem Roman als Leitmotiv einen Vers von Martin Luther voran: „Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben, es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben“. Damit öffnet sich eine Deutung der Ge-schichte, die dem schrecklichen Geschehen vielleicht doch einen Sinn abgewinnen lässt.
Alles umsonst, das bedeutet ja zweierlei. Einerseits: der Krieg und seine Folgen haben die Mühen und Erfolge von Generationen vernichtet, verbrannt, ausgelöscht. 700 Jahre deutscher Geschichte verschwinden über Nacht. Die Folgen sind bis heu-te zu spüren, nicht nur für die, die damals dabei waren.
Aber es gibt auch eine andere Bedeutung dieses „alles umsonst“. Es kann ja auch gemeint sein: alles geschenkt, alles gratis. Und tatsächlich: am Ende des Romans rettet jemand, von dem man es am wenigsten gedacht hätte, dem kleinen Peter vom Georgenhof das Leben.
Das Kind überlebt das Chaos und erfährt die Wahrheit dieser anderen Bedeutung: es gibt keinen Anspruch auf irgend etwas im Leben. Am Ende bleibt nur das beste-hen, dass bei allen Verlusten das Leben selbst das größte Geschenk ist, ganz und gar umsonst.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
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