SWR2 Wort zum Tag

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Zuhause habe ich mittlerweile ein halbes dutzend Schutzengel. Einen aus Holz mit struppigen Haaren und einem Herzchen drauf, einen kleinen als Schüsselanhänger, einen ernsthaft dreinschauenden aus Bronze. Einen selbstgebastelten aus einer Nudel und ein paar Gänsefedern. Irgendwann begann die Schutzengelschwemme. Von meinem Lieblingsschutzengel, dem ernsthaften aus Bronze, der so gut in der Hand liegt, habe ich schon ein paar andere Exemplare weiterverschenkt. Aber ist das nicht kruder Aberglaube, sich so einen Schutzengel in die Tasche zu stecken?
Von Niels Bohr, dem dänischen Physiker und Nobelpreisträger, wird eine Anekdote überliefert und die geht so: Als mehrere Journalisten den Physiker besuchten, um einen Beitrag über sein Leben und Werk vorzubereiten, fiel einem der Journalisten ein rostiges Hufeisen auf, das über dem Eingang von Bohrs Sommerhaus angenagelt war. Ein Hufeisen, so über der Tür festgenagelt, soll Glück bringen, Haus und Hof beschützen und Fremden und bösen Geistern den Zugang verwehren. Also: sollte der Teufel einmal in Menschengestalt das Haus betreten wollen, bumms!, fällt ihm das Hufeisen auf den Kopf. Das ist die Idee dabei.
Kein Wunder, dass die Journalisten erstaunt waren, beim weltbekannten Physiker so ein Zeichen uralter magischer Vorstellungen vorzufinden. Sie fragten Bohr, wie er als Naturwissenschaftler so einem Aberglauben anhängen könne; daran glaube er doch wohl nicht ernsthaft. Niels Bohr, der immer einen Sinn für Humor hatte, antwortete: Nein, natürlich glaube er nicht an diese Dinge. Aber das sei ja kein Problem: Man habe ihm versichert, das mit dem Hufeisen funktioniere auch, wenn man nicht daran glaubt.
Mit einem Satz macht er deutlich, in welcher Zwickmühle wir aufgeklärten Menschen stecken. Auf der einen Seite gehen wir immer davon aus, dass Naturgesetze wirken, ganz egal, ob wir daran glauben oder nicht. Völlig unabhängig von uns. Auf der anderen Seite handeln wir in unserem Leben mit all seinen Wünschen und seiner Sehnsucht nach Glück nicht immer rational, sondern im Glauben an das, was uns gerade richtig erscheint.
Kann man als aufgeklärter Mensch an so einen bronzenen Schutzengel glauben, den einem ein guter Freund in die Hand drückt und eine liebe Freundin mit auf die Reise gibt? Von meinem werde ich mich jedenfalls nicht trennen. Ich bin überzeugt: Er wirkt auch, wenn man nicht dran glaubt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8672
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